*112124*
M. Maximenko
Nationale
Universität für Lebensmitteltechnologien (Kiew, Ukraine)
Was ist Kommunikation und
Interaktion?
Kommunikation.
Der Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation
ist im Prinzip schnell beschrieben. Da ist ein Sender, der etwas mitteilen
möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen - wir
nennen das, was er von sich gibt, ganz allgemein seine Nachricht. Dem
Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln.
In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein,
so dass eine Verständigung stattgefunden hat. Dennoch treten häufig
Probleme auf, denn Kommunikation ist zugleich eine der komplexesten und
wichtigsten Fähigkeiten des Menschen und besteht eben nicht allein in der Weitergabe
von sachbezogener Informationen, vielmehr laufen etwa zwei Drittel des
Austausches in einem Gespräch über den visuellen oder akustischen
Kanal in Form von Gesten, Körperhaltung, Mimik, Betonung oder
Sprachmelodie. Wenn man Menschen beim Sprechen genau beobachtet, werden bis zu
90 Prozent des Sprechens von mehr oder minder deutlich erkennbaren Gesten
begleitet. Da manche Informationen nicht verbal kommuniziert werden
können, versucht man häufig durch ikonische Gesten beim anderen ein Vorstellungsbild
in verkörperter Form zu erzeugen. Ein solches gestisches Zeichen
trägt etwa die Bedeutung durch bildliche Ähnlichkeit zu einem
vorgestellten Bezugsobjekt in sich - man beobachte nur Touristen, die sich nach
einem bestimmten Bauwerk erkundigen. Auch kann der Ausdruck in Gesicht und
Stimme emotionale Zustände übermitteln, die in ihrer Subtilität
kaum durch Sprachäußerungen vermittelbar sind, wobei das sowohl
absichtlich als auch unabsichtlich geschehen kann. Menschen sind in ihrer
Kommunikation allerdings weder objektiv noch neutral, sondern sie sind in
erster Linie emotional. Sie besitzen Sinnesorgane, mit denen sie Informationen
aufnehmen, ein Gehirn, mit dem sie die Informationen verarbeiten. Und sie haben
Filter im Gehirn, die verhindern sollen, dass man unter der schieren
Übermacht an Informationen erstickt, die Tag für Tag auf sie
einstürmen. Jede Information ist auch gleichzeitig mit einer Vielzahl von
Erinnerungen, Erfahrungen, Gefühlen und Werten verbunden und wird mit
diesen Anteilen auch weitergegeben. Diese persönlichen Filter jedes
Einzelnen bestimmen auch, wie Informationen aufgenommen werden, wie man denkt
und wie man handelt. Alles liegt oft buchstäblich im Auge des Betrachters,
was gleichzeitig das Aus für jegliche Neutralität und Objektivität
bedeutet.
Interaktion
Ein wichtiges
Merkmal jeder Kommunikation ist Interdependenz, d.h. die wechselseitige
Steuerung und Kontrolle, Intentionen auf Seiten des Senders und Aufnahme und
Interpretation durch den Empfänger. Es darf nicht unterstellt werden,
daß bei jeder Kommunikation eine bewußte Mitteilungsintention
vorliegt. Eine begriffliche Trennung zwischen Interaktion und Kommunikation ist
häufig schwierig, wobei Interaktion meist den übergeordnete Begriff
darstellt. Die kommunikative Interaktion kann durch unbewußte,
vorbewußte Erfahrungen oder Lernniveaus oder durch noch nicht voll
bewußt Komponenten der Verhaltenssteuerung beeinflußt werden. Es
zeigt sich, daß gerade das alltägliche Handeln durch unausgesprochene,
vor- und unbewußte Erwartungen, Interpretationen des Partnerverhaltens
und Befolgung von Verhaltensvorschriften bestimmt ist.
Insbesondere die
nonverbalen Anteile der Kommunikation sind unbewusst, automatisch etc.
Emotionen äußern sich im Ausdruck, und sind nur zum Teil einer
Kontrolle zugänglich. Daher ist die Unterscheidung von verbaler und
nonverbaler Kommunikation sinnhaft: Verbale Kommunikationsträger sind
Wörter und Sätze, gesprochen, gesungen, geschrieben, während
nonverbale Kommunikation stattfindet durch Blickverhalten (Blickkontakt),
Gesichtsausdruck (Mimik), Körperhaltung und Körperbewegung (Gestik),
Berührung (Taktilität), räumliche Distanz zum anderen
(personaler Raum) nonverbale vokale Signale, die sprachlich vermittelte
Informationen begleiten (z.B. stimmliche Merkmale, Pausen, Betonungen,
paralinguistische Äußerungen).
Symbole
und paralinguistische Elemente
Die menschliche
Sprache ist durch Symbole gekennzeichnet, die als Abstrakta gleichartige
Sachverhalte zusammenfassen. Solche Abstrakta haben je nach Kontext oder Kultur
unterschiedliche Dimensionen und Grenzen. So ist der Kontext eines Wortes
wichtig, da menschliches Denken durch den jeweiligen situationalen Bezugsrahmen
beeinflußt wird. So verändert sich der Sinn des Begriffes
"Blatt" je nach dem, ob es von einem Botaniker, Pianisten, Graphiker
oder Kartenspieler verwendet wird. In der Regel sind solche Unterschiede leicht
zu erkennen, oft genug aber führen sie zu folgenschweren
Mißverständnissen, denn die Gesprächspartner gehen von der
irrigen Annahme aus, der andere meine mit demselben Wort dasselbe.
Paralinguistische
Elemente wie Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache gehören
genauso zur Performanz wie Lachen, Seufzen oder die Verwendung von Pausen. Zum
Mißverstehen oder Nichtverstehen kann aber auch die unterschiedliche
Konnotation oder Denotation eines Wortes führen. Erst ein gemeinsames
System von Sprachsymbolen differenziert Nichtverstehen von Mißverstehen,
denn beim Nichtverstehen fehlt dieses gemeinsame System, während es beim
Mißverstehen zwar vorhanden ist, aber unterschiedlich aufgefaßt
werden kann. Verstehensschwierigkeiten ergeben sich daher oft schon aus den
verwendeten Worten.
Themenzentrierte
Interaktion (TZI)
Die Begründerin
der TZI, Ruth Cohn, hat bei ihrem Konzept Strömungen und Einflüsse
aus der Psychotherapie, der Pädagogik und aus humanistisch-politischen
Gruppenkonzepten - und dies alles auf der Grundlage eigener reflektierter
Erfahrung - integriert. Kernanliegen ihres Konzeptes ist es, daß es »dazu
dient, sich selbst und Gruppen zu leiten«. Unterschiedliche Berufssparten arbeiten damit, nicht nur
Pädagogen bei Fort- und Weiterbildungsprozessen. Der besondere Unterschied
zu anderen Methodenkonzepten besteht darin, daß sich die methodischen Überlegungen
ausdrücklich an einem Menschenbild orientieren, das dem Wert des Humanen
verpflichtet ist. Die Achtung vor dem menschlichen Leben, der menschlichen
Autonomie, aber auch Interdependenz sowie das Ziel, mehr Menschlichkeit zu
fördern, charakterisieren dieses Modell zur Strukturierung von Gruppenprozessen
und zum differenzierten Umgang mit Gruppen. Dabei können zwei Aspekte
durch dieses offene Rahmenkonzept verwirklicht werden: das kritische
Überdenken laufender und abgeschlossener Gruppenprozesse sowie eine ganz
bestimmte Handhabung der Gruppenleitung.
Während man in grober Vereinfachung sagen kann, daß sich die
Gruppendynamik vorwiegend mit den Interaktionsprozessen befaßt, die
Gruppenpsychotherapie primär sich dem einzelnen »Ich« zuwendet und die
Gruppenpädagogik vorwiegend die inhaltliche Dimension betont, geht es bei
Cohn darum, alle diese Elemente immer wieder in ein Gleichgewicht beim
Gruppenprozeß zu bringen.
Das Fundament der
TZI bilden die drei Axiome, d. h. die Grundannahmen. Ohne sie würde
die TZI-Methodik zur Technologie absinken.
Das erste Axiom bringt zum Ausdruck, daß zum Menschen
Autonomie und Interdependenz gehören. Je mehr sich der Einzelne seiner
Interdependenz mit allen und allem bewußt ist, umso größer ist
seine Autonomie. Im zweiten Axiom wird die Ehrfurcht vor allem
Lebendigen und seinem Wachsen in den Mittelpunkt gestellt. Das Inhumane wirkt
als wertbedrohend. Cohn spricht im dritten
Axiom das Spannungsfeld von freier Entscheidung an, die innerhalb von
bedingenden inneren und äußeren Grenzen getroffen wird. Sie
erwähnt optimistisch, daß diese Grenzen erweitert werden
können. Auf dem Fundament der Axiome bauen die Postulate auf. Das erste, gleichsam die Grundbotschaft,
lautet: Leite dich selbst, sei deine eigene Chairperson. Eine Chairperson
leitet eine Gruppe so, daß alle Gruppenmitglieder zu Wort kommen, ohne
damit selbst neutral sein und auf die eigene Meinungsäußerung
verzichten zu müssen.
Das zweite Postulat lautet: Störungen
und Betroffenheit haben Vorrang. Hiermit sind
Aufmerksamkeitsverschiebungen bei einzelnen Mitgliedern der Gruppe gemeint, die
beim Arbeitsprozeß entstehen können, wie z.B. Erinnerungen,
Ängste, Freude aber auch Mißverständnisse. Es sind subjektive
Gegebenheiten, die blockierend wirken. Dadurch aber, daß sie die Chairperson
aufgreift, gilt die Bearbeitung der Störung als Beitrag zum Thema, der das
Miteinander lebendig macht. Hier bringt die geschulte Psychoanalytikerin Cohn
ihr Wissen ein, daßBlockierungen durch gezieltes Eingehen auf sie
freigesetzt werden können und damit der konstruktiven gemeinsamen Arbeit
dienen.
Regeln und Richtlinien für die
Gruppeninteraktion von Ruth Cohn
Jede Gruppeninteraktion enthält
drei Faktoren, die man sich bildlich als Eckpunkte eines Dreiecks vorstellen
könnte:
1. Das Ich, die Persönlichkeit;
2. Das Wir, die Gruppe;
3. Das Es, das Thema.
Dieses Dreieck ist eingebettet in eine
Kugel, die die Umgebung darstellt, in welcher sich die interaktionelle Gruppe
trifft. Diese Umgebung besteht aus Zeit, Ort, und deren historischen, sozialen
und teleologischen Gegebenheiten. Die thematische interaktionelle Gruppe
versucht die Dreiheit von Ich-Wir-Es in dynamischer Balance zu halten. In der
Praxis werden den Teilnehmern technische Regeln gegeben, die zugleich die
jeweilige Arbeit und das Streben nach dem Bewusstsein von Autonomie und
zwischenmenschlicher Verbundenheit fördern sollen.
Solche Regeln sind unter anderem
·
Versuche, in dieser Sitzung das zu geben und zu
empfangen, was du selbst geben und empfangen möchtest. (Diese Richtlinie
schließt alle folgenden, die nur zu größerer Verdeutlichung
gegeben werden, ein.)
·
Sei dein eigener Chairman und bestimme, wann du reden
oder schweigen willst und was du sagst.
·
Es darf nie mehr als einer auf einmal reden. Wenn mehrere
Personen auf einmal sprechen wollen, muss eine Lösung für diese Situation
gefunden werden.
·
Unterbrich das Gespräch, wenn du nicht wirklich
teilnehmen kannst, z.B. wenn du gelangweilt, ärgerlich oder aus einem
anderen Grund unkonzentriert bist. (Ein »Abwesender« verliert nicht nur die
Möglichkeit der Selbsterfüllung der Gruppe, sondern bedeutet auch
einen Verlust für die ganze Gruppe. Wenn eine solche Störung behoben
ist, wird das unterbrochene Gespräch entweder wieder aufgenommen werden
oder einem momentan wichtigeren Platz machen.)
·
Sprich nicht per »man« sondern per »ich«. (Ich kann nie
wirklich für einen anderen sprechen. Das »man« oder »wir« in der
persönlichen Rede ist fast immer ein Sich-Verstecken vor der individuellen
Verantwortung.)
·
Es ist beinahe immer besser, eine persönliche
Aussage zu machen, als eine Frage an andere zu stellen. (Meine
Äußerung ist ein persönliches Bekenntnis, das andere Teilnehmer
zu eigenen Aussagen anregt; viele Fragen sind unecht; sie stellen indirekt
Ansprüche an den anderen und vermeiden eine persönliche Aussage.)
·
Beobachte Signale aus deiner Körpersphäre und
beachte Signale dieser Art bei den anderen Teilnehmern. (Diese Regel ist ein
Gegengewicht gegen die kulturell bedingte Vernachlässigung unserer
Körper- und Gefühlswahrnehmung.)
Die thematische interaktionelle Methode
beruht auf der Einsicht, dass die Menschen zwar Tatsachen und
Zusammenhänge mit dem Denken allein erfassen können, dass jedoch
sinnvolles Lernen den ganzen Menschen als psychosomatisches psychosomatisch:
die seelisch-körperlichen Wechselwirkungen betreffend - daher auch
gefühlsbetontes und sinnliches - Wesen betrifft. Die gegebenen Regeln und
Richtlinien versuchen, den ganzen Menschen, Gefühle und Gedanken,
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft miteinzubeziehen.
TZI an der Universität
Die themenzentrierte Interaktion nach
Ruth Cohn wird in der hochschuldidaktischen Praxis im Modellstudiengang
"Master of Higher Education" als Modell zur flexiblen Leitung
unterschiedlicher Prozesse in einer akademischen Lehrveranstaltung genutzt.
Unter dem Aspekt, eine Balance der psychosozialen Prozesse als
Orientierungsgrundlage für das kooperative Arbeiten einer Gruppe an
inhaltsbezogenen Themen zu ermöglichen, ist die Methode besonders
geeignet, Handlungsleitungen für Lehrende auf dem Hintergrund der
theoretischen Konzeption des kooperativen Lernens anzubieten. So ist die
Einbindung der lebensweltlichen Bezüge der Teilnehmenden und die
Entwicklung ihrer individuellen Lernbegründungen auf das gesellschaftlich
relevante, außenweltliche Unterrichtsthema gerade für die theorielastige
universitäre Lehre eine sinnvolle Ergänzung. Auch wenn die Elemente
der TZI sinnvoll in der hochschuldidaktischen Aus- und Weiterbildung Verwendung
finden können, ist die Methode jedoch nicht als einfach zu erlernende
Unterrichtsmethodik zu verstehen. Vielmehr erfordert diese eine oft über
Jahre hinweg immer wieder an der Praxis erprobte Erarbeitung persönlicher
Haltungen.
Quellen
Cohn, Ruth (1991). Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion:
Von der Behandlung einzelner zu einer
Pädagogik für alle. Stuttgart: Klett-Cotta.Watzlawick,
P., Beavin, J., Jackson, D. (1996). Menschliche Kommunikation: Formen,
Störungen, Paradoxien. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Hans Huber.
Lück,
H.E. (1985). Psychologie sozialer Prozesse. Opladen: Leske+Budrich.