Ýêîíîìè÷åñêèå íàóêè/16.Ìàêðîýêîíîìèêà

        Sintschenko V.V.

Kiew, Ukraine

 

BILDER VON DER WIRTSCHAFT IM SPÄTKAPITALISMUS

 

Die Erosion kultureller Leitbilder, das Ende der Erwerbsgesellschaft oder der Arbeit uberhaupt: Das sind die aktuellen "Diskurse des Verschwindens", die auf den neuen Kapitalismus  in den westlichen Gesellschaften mit der zugehorigen

Expansion eines digital-elektronisch gestutzten Dienstleistungssektors reagierten. Gegen die vorgebliche Evidenz der konkreten Praxis und dem mit ihr verbunden Argument der Notwendigkeit wird "Arbeit" in dieser Studie als ein Konstrukt diskursiver Formationen aufgefa.t. Aus einer historisch-anthropologischen Perspektive werden zunachst die Versuche zur diskursiven Schlie.ung des Arbeitsbegriffs und seine Instabilitat am Beispiel philosophischer Primartexte wie auch durch die Inkonsistenzen in seiner medientechnischen Inszenierung bis in die deutlich gemacht.

In einem zweiten, empirischen Schritt analysieren die AutorInnen die Sinnhorizonte, die in der zeitgenossischen Werbung der IT-Industrie entworfen werden: Dort ist die Arbeit nicht "verschwunden", sondern einem Proze. der Umwertung und Re-Codierung unterworfen. Metaphern des Industriellen finden teilweise eine verstarkte Affirmation, wahrend sie gleichzeitig mit Signifikanten des Anti-Autoritaren, des Devianten, des befreiten Wunsches und des Genie.ens verknupft werden. In einer solchen Loschung vormaliger Differenzen implodiert "Arbeit" in der Konstruktion eines hypertrophen Subjekts und wird durch ihre Kulturalisierung ubiquitar und universell.

 

Eine tiefe Auseinandersetzung mit der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit der Gegenwart kann und darf nicht von den bisherigen Resultaten der revolutionären Theorie abstrahieren. Das heißt noch immer kritische Rezeption und Ausbreitung  der Marzschen  Theorie und ihrer Weiterentwicklung  in den verschiedenen  Perioden nach ihrer Entstehung. Wir sind gegen jede Dogmatisierung des Marzismus, denn er ist eine schöpferische Wissenschaft, die sich auf der Grundlage der kritischen Methode der Dialektik mit jeder neuen Wirklichkeit auseinandersetzen muß, aus ihr die Kategorien für ein Verständnis der je konkreten Gegenwart zu gewinnen hat.

Die  Schaffung  neuer  Bedürfnisse,  die die unmittelbare  Bedürfnisbefriedigung  durch  die «freiwillige  Produktion  der Natur» überschreitet,  zwingt die Menschen eine auf Arbeitsteilung beruhende industrielle Produktionsweise  einzufüh- ren. Mit der Arbeitsteilung ist das Privateigentum und der Klassengegensatz,  der Widerspruch zwischen den Interessen der Klassen und dem gesellschaftlichen  Interesse  aller Individuen. Die Geschichte  der menschlichen  Gesellschaft  als Klassengesellschaft  beginnt mit der arbeitsteiligen Organisation des materiellen Lebens. Die Trennung der «Produkti- onsbedingungen» von den unmittelbaren Produzenten konstituiert den Grundwiderspruch von Kapital und Lohnarbeit, der in den je spezifischen historischen Phasen besondere Formen gewinnt. Das Kapitalverhältnis der bürgerlichen Ge- sellschaft, die die aus der Arbeitsteilung entstehende Entfremdung des Menschen von den von ihm produzierten Produkten auf die Spitze treibt, bildet das Klassenverhältnis von Bourgeoisie und Proletariat heraus.

Der alle kapitalistische Produktion auszeichnende Widerspruch besteht darin, daß auf der einen Seite die Produktions- weise gesellschaftlichen  Charakter trägt, das heißt alle Produzenten in einen tendenziell weltweiten  arbeitsteiligen Zu- sainmenhang einbezieht, der allein die Entwicklung und Entfaltung der Produktivkrafte und des gesellschaftlichen Reichtums  ermöglicht,  auf der anderen Seite die private Aneignungsweise  dominiert,  die Arbeit als Privatarbeit  dem Produzenten erscheint, er sich in ihr nicht wiedererkennt und von der Fülle gesellschaftlichen  Reichtums ausgeschlossen ist.

Der Kampf zwischen Produzenten und Kapitalistenklasse bestimmt die ganze Formationspenode der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft.  Der Wandel der Klassenformen erklärt sich aus der geschichtlichen Entwicklung der Ar- beit.  In  bürgerlich-kapitalistischen  Gesellschaft  herrscht  nicht  mehr  eine  bestimmte  Arbeit,  sondern  die  abstrakt- allgemeine Arbeit vor. Die menschliche Arbeitsfähigkeit wird zur Ware Arbeitskraft, zum doppelt freien Lohnarbeiter, frei von Produktionsmitteln und frei für den Verkauf seiner besonderen Fähigkeit, gesellschafthchen  Reichtum zu produzieren.  In der warenproduzierenden  Gesellschaft  transformiert  sich die menschliche  Arbeit, die ursprünglich  eine individuelle, dem Menschen spezifisch auszeichnende  Fähigkeit  bezüglich seiner unmittelbaren  Bedürfnisbefriedigung war,  zu  einer  gesellschaftlichen,  warenproduzierenden  Arbeit.  Das  Produkt  der  individuell-gesellschaftlichen  Arbeit wird zur Ware, und die lebendige, den Reichtum schaffende  menschliche Arbeit, ist nur noch als auszubeutende  Arbeitszeit wichtig: «Die Zeit ist alles, der Mensch ist nichts» (Marx). Die gesellschaftlichen  Kontakte zwischen den ein- zelnen Produzenten hören auf, sie werden die unpersönlichen Träger ihrer Arbeitsprodukte. Die menschlichen Beziehungen, die der gesellschaftlichen  Arbeit zugrunde liegen, die diese Waren durch arbeitsteilige Arbeit produzieren, ver- wandeln sich in Ding- und Warenbeziehungen.  Mit einem Bild aus der «Nebelregion der religiösen Welt» bezeichnet Marx diesen Schein, der ein fundamentum in re hat, als den Fetischcharakter der Warenwelt.

Denn wie in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand, so scheinen in der religiösen Welt die Produkte des Geistes mit einem eigenen Leben begabte, untereinander  und mit den Menschen in Verhältnis stehende  selbständige Gestalten zu sein.

Die Entwicklung der warenproduzierenden  Gesellschaft  ist identisch mit immer unpersönlicheren  menschlichen Verhältnissen. Die konkreten Individuen werden im Prozeß der Produktion und Konzentration des Kapitals zu ökonomi- schen Charaktermasken, zu Personifikationen ökonomischer Verhältnisse. Die Macht des Kapitals nimmt immer mehr zu, und der Kapitalist, die Personifikation der gesellschaftlichen  Produktionsbedingungen,  wird gegenüber dem unmittelbaren Produzenten immer mächtiger, ist entfremdet, verselbständigte  Macht, die als Herrschaft der «totgeschlagenen Materie» in der Hand der Kapitalistenklasse der Gesamtgesellschaft  gegenübertritt: «Die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere, und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben» (Karl Marx: Das Kapital, Bd. 3, Berlin 1961, S.884). Die Verdinglichung des Men- schen wird durch die Falschheit seines Bewußtseins vollendet. Der wichtigste Charakterzug der kapitalistischen Gesell- schaft für eine Analyse, die diese Wirklichkeit unter dem Aspekt ihrer revolutionären  Veränderbarkeit  betrachtet,  ist, daß die Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft die gesellschaftliche  Wirklichkeit nicht adäquat erkennen können. Statt der wirklichen ökonomischen Verhältnisse als einer Gesamtheit menschlicher Beziehungen spiegelt sich nur deren verdinglichter Schein im Bewußtsein der Produzenten (wider). Diese Mystifikation des Bewußtseins über die geschichtlich-gesellschaftliche  Wirklichkeit wird durch die verschiedenen Metamorphosen des Kapitals in der Produktion und Zirkulation immer vollständiger. In der Geldform schließlich ist von der ursprünglichen Form des Kapitals nichts geblieben, die Mystifikation  des Kapitalverhältnisses  ist totalisiert,  aber der Übergang  zu einer neuen produktionsform deutet sich schon an:

 Wenn das Kreditwesen als Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel erscheint, so nur, weil der Reproduktionsprozeß, der seiner Natur nach elastisch ist, hier bis zur äußersten Grenze forciert wird, und zwar deshalb forciert wird, weil ein großer Teil des gesellschaftlichen  Kapitals von den Nichteigentümern  desselben angewandt wird, die daher ganz anders ins Zeug gehen als der ängstlich die Schranken seines Privatkapitals erwägende Eigentümer, so- weit er selbst fungiert. Er tritt damit nur hervor, daß die auf den gegenständlichen Charakter der kapitalistischen Produktion gegründete Verwertung des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat die immanente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird. «Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarktes,  die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform  bis auf einen gewissen  Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen  Produktionsweise  ist. Gleichzeitig beschleunigt  der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise» (Kurz R. Kollaps der Modernisierung: vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie. – Fr. am Ì.: Eichborn, 2009, S.483). Und für die Transformationsperiode:  «Endlich unterliegt es keinem Zweifel, daß das Kreditsystem als ein mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit, jedoch nur als ein Element in Zusammenhang mit anderen großen organischen Umwälzungen  der Produktionsweise  selbst.  Dagegen  entspringen  die Illusionen  über die wunderwirkende  Macht des Kredit-  und Bankwesens,  im sozialistischen  Sinn, aus völliger  Unkenntnis  der kapitalistischen  Produktionsweise und des Kreditwesens  als einer ihrer Formen. Sobald die Produktionsmittel  aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln (worin auch die Aufhebung  des Privateigentums  eingeschlossen  ist), hat der Kredit als solcher keinen Sinn mehr...» (ibid. S. 56.)

Die Bourgeoisie hat nun in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft  für eine ganze Periode, für die Periode der «transitorischen  Notwendigkeit»  des Kapitalismus eine «revolutionäre  Rolle» (Marx) gespielt, sie hat Kapital akkumu- liert, die vorkapitalistischen  Produktionsverhältnisse  des Feudalismus  zerstört, die Bedingungen  für eine höhere Ent- faltung  der Produktivkräfte  freigemacht.  «Die Entdeckung  Amerikas,  die Umschiffung  Afrikas schufen  der aufkom- menden Bourgeoisie  ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung  von Amerika, der Austausch  mit den Kolonien,  die Vermehrung  der Tauschmittel  und der Waren überhaupt  gaben dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung  und damit dem revolutionären Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung» (Karl Marx: KominunistiscJies Manifest, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 4, Berlin 1964 5.463/). Die neu entstehenden Bedürfnisse konnten nur durch neue Produktionsweisen befriedigt werden. Die Manufaktur  und - auf der Grundlage eines ungesättigten  Marktes - auch bald die große Jndustrie vertieften  das System der Arbeitsteilung, steigerten die Produktivität der Arbeit und die Macht und Herrschaft des Kapitals.

Die vorkapitalistischen  Klassen  zeichneten  sich gerade dadurch  aus, daß sie in der Beibehaltung  ihrer traditionellen Produktionsweise ihre erste Lebensbedingung sahen. Nicht so die Bourgeoisie. Sie muß ununterbrochen die Produkti- onsverhältnisse und Produktivkräfte  umwälzen, sie ist der lebendige Widerspruch zwischen der dem Kapital immanen- ten Tendenz, die Produktivkräfte  schrankenlos zu entfalten - vermittelt über Konkurrenz auf dem Markte - und den permanenten Schranken in der Entfaltung, die sich aus dem beschränkten Zweck der Verwertung des Kapitals ergeben. Der Kampf dieser beiden entge- gengesetzten Tendenzen bestimmt das historische Schicksal des Kapitalismus.

Das Bedürfnis nach immer neuen Märkten «jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen» (Kurz R. Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. - Munchen: Ullstein, 2001, S.51). So schafft sie sich den Weltmarkt, der die. verschiedenen Nationen voneinander abhängig macht, «reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Sie zwingt alle Nationen, die produktionsweise  der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen [...] mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde» (ibid., S.66/) und: Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen verdrängt durch neue Industrien,  deren Einführung  eine Lebensfrage  für alle zivilisierten  Nationen wird, durch Industrien,  die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. Marx unterstellt hier mehr oder weniger die Herausbildung der konkreten Totalität des kapitalistischen Weltmarktes, die weltweite Kapitalisierung. Davon konnte aber zur Marxschen Zeit keine Rede sein. Die Kapitalisierung der Gesellschaft, der Welt, ist doch selbst ein historischer Prozeß. Das heißt, wenn wir die geschichtliche  Ganzheit der gesellschaftlichen  Wirklichkeit erkennen wollen, müssen wir das Verhältnis der kapitalistischen  Gesellschaft  zu der nichtkapitalistischen  Gesellschaft  und den Prozeß  der Verkapitalisierung  untersuchen.  Diesen  für  die Weiterentwicklung  der Marxschen  Theorie  wesentlichen Gesichtspunkt problematisierte Rosa Luxemburg, besonders in ihrem Buch Die Akkumulation des Kapitals. Marx hatte gerade in Indien und China eine sehr schnelle Industrialisierung und damit Kapitalisierung durch den englischen Kapitalismus erwartet. Das englische Kapital zerstörte zwar wichtige Elemente der alten Produktionsweise,  ohne aber die neue, die kapitalistische wirklich einzuführen. Es bildete sich vielmehr schon damals eine internationale repressive Ar- beitsteilung heraus, von der auch Marx schon Kenntnis nahm: «Was die arbeitenden Klassen anbetrifft [...] sehr strittige Frage, ob ihre Lage sich verbessert habe [...] Aber vielleicht haben die Ökonomen, wenn sie von Verbesserung spra- chen, von den Millionen Arbeitern sprechen wollen, die in Ostindien umkommen mußten, damit den 1 1/2 Millionen in der gleichen  Industrie  in England  beschäftigten  Arbeitern  drei Jahre Prosperität  auf 10 verschafft  wurden»  (Karl Marx: Elend der Philosophie, MEW, Bd. 4, Berlin 1964, S.123/24/). Hier wird schon jener Ausbeutungsmechanismus gezeigt, der sich im «klassischen Imperialismus» von der Jahrhundertwende an auf erweiterter Stufenleiter fortsetzte. Es wurde klar, daß die kapitalistische Produktionsweise  keine jederzeit verfügbare  Exportware darstellt. Die Theorie des Imperialismus drückte diesen historischen Tatbestand aus. Was war geschehen? Die Konzentration der Produktion und die fortschreitende  Akkumulation  des Kapitals, die sich in der Dialektik  von Konkurrenz und Monopol durchsetzte, führte zur Herausbildung von Monopolverbänden, die die koloniale Expansion wesentlich forcierten. Um den Fall der Profitrate aufzuhalten so nach R.Hilferding -, haben sich Industrie- und Bankkapital im Finanzkapital  verschmolzen, um einen von den Banken geleiteten planmäßigen Kapitalexport in die nichtkapitalistischen oder weniger kapitalisierten Länder  durchzuführen.  Die materialistische  Grundlage  des vermehrten  Warenezports  und besonders  des Kapitalex- ports sind die Extraprofite in den Kolonien und im «auswärtigen Handel», ist die Überproduktion in den Industrielän- dern, in der die Waren und das Kapital vergebens nach günstigen Anlage- und Absatzmöglichkeiten suchten. Die mili- tärische Zwangsgewalt des Staates stellte sich in den Dienst der ökonomischen Notwendigkeiten.  Die Schutzzoll-Phase des Imperialismus,  die der Freihandelsphase  folgte, zeichnete sich dadurch aus, daß die Erweiterung  der Größe des Wirtschaftsgebietes  zur unbedingten Notwendigkeit eines jeden entwikkelten Landes wurde. Die kleineren Wirtschafts- gebiete wurden den größeren tributpflichtig.  Der staatliche  Wirtschaftskrieg  wurde in Permanenz erklärt, was unver- meidlich zur militärischen Auseinandersetzung führen mußte. Die Herausbildung einer riesigen Rüstungsindustrie  ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Hinzu kommt, daß in der kapitalistischen Produktionsweise die Lebenshaltung eines Volkes immer hinter den technischen  Möglichkeiten  der Produktionssteigerung  zurückbleibt.  Die Entfaltung der Zi- vilindustrie findet ihre Schranken in der unzureichenden Konsumtion der Massen. Das Kapital wächst sehr viel schneller als die Möglichkeiten seiner Verwertung. Der riesig angeschwollene Akkumulationsfonds des Kapitals muß so nach Betätigungsfeldern  suchen, die von der Konsumkraft des Volkes im wesentlichen unabhängig sind: die Kriegsindustrie. Der Erste Weltkrieg war der Versuch des deutschen Imperialismus, die schon abgeschlossene Aufteilung  der Welt in bestimmte Herrschafts- und Einflußsphären mit militärischen Mitteln in Frage zu stellen. Die Forderung der Linksradi- kalen von Lenin bis Luxemburg war unter diesen Bedingungen die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg. Es gelang aber nur den russischen Massen, sich vom Imperialismus zu befreien, eine sozialistische Gesellschaftsordnung in Angriff zu nehmen.

Mit dem Krieg von 1914/18 wurde die Epoche der «transitorischen Notwen- digkeit» des Kapitalismus beendet und die Epoche des Niedergangs und der Möglichkeit der Revolution eingeleitet. Die Marxsche Revolutionstheorie schien sich historisch zu verifizieren:

1. In der Entwicklung der Produktivkräfte  tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel  her- vorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte  (Maschinerie und Geld) - und was damit zusammenhängt, daß eine Klasse her- vorgerufen wird, welche alle Lasten der Gesellschaft zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu genießen, welche aus der Ge- sellschaft herausgedrängt, in den entschiedenen Gegensatz zu allen anderen Klassen forciert wird - eine Klasse, die die Majorität aller Gesellschaftsmitglieder  bildet und von der das Bewußtsein  über die Notwendigkeit  einer gründlichen Revolution, das kommunistische  Bewußtsein, ausgeht, das sich natürlich auch unter den anderen Klassen vermöge der Anschauung der Stellung dieser Klasse bilden kann.

2. Daß die Bedingungen,  innerhalb deren bestimmte  Produktionskräfte  angewandt werden können, die Bedingungen der Herrschaft einer bestimmten Klasse der Gesellschaft sind, deren soziale, aus ihrem Besitz hervorgehende Macht in der jedesmaligen Staatsform ihren praktisch-idealistischen  Ausdruck hat, und deshalb jeder revolutionäre Kampf gegen eine Klasse, die bisher geherrscht hat, sich richtet.

3. Daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet  blieb und es sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die' kommuni- stische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt, und die Herrschaft aller Klas- sen mit den Klassen selbst aufhebt, weil sie durch die Klasse bewirkt hat, die in der Gesellschaft für keine Klasse mehr (59/) gilt, nicht als Klasse anerkannt wird, schon der Ausdruck der Auflösung aller Klassen, Nationalitäten etc. inner- halb der jetzigen Gesellschaft ist. Und

4. daß sowohl zur massenhaften  Erzeugung  dieses kommunistischen  Bewußtseins,  wie zur Durchsetzung  der Sache selbst eine massenhafte Veränderung der Menschen nötig ist, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revoluti- on vor sich gehen kann; daß also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden.

Der Zweite Weltkrieg hatte die ganze kapitalistische Welt, die zu der Zeit noch keinen wirklich weltweiten Interdepen-denzzusammenhang begründete, in einen einzigen Betrieb zur Produktion von Waffen, Munition und Verpflegung für die sich bekämpfenden  Armeen der kapitalistischen  Staaten verwandelt.  Die Herausbildung  massenhafter  Destrukti- onsmittel durch die kapitalistische Produktionsweise selbst, für Marx das Kriterium der objektiven «Reife der Revoluti- on», war aber nur sehr bedingt mit der Herausbildung eines Bewußtseins der ausgebeuteten Klasse von der Notwendigkeit und Möglichkeit  einer «totalen»  Revolution gegen die die menschliche  Entwicklung  hemmenden  kapitalistischen Produktionsverhältnisse  verbunden. Um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen, ist es notwendig, die Implika- tionen des Marxschen Klassenbegriffs  noch einmal zu befragen. Die Wirklichkeit, die in der Gesellschaft vor allem im Mittelpunkt  der ökonomischen  und materiellen  Untersuchungen  des Produktionsprozesses  von Marx steht, sind die Menschen, nicht als vereinzelte Individuen, sondern als Klassen. In der Ökonomie ist nicht von Sachen die Rede, son- dern von menschlichen Verhältnissen. Da diese Verhältnisse aber an Sachen gebunden sind, diese Sachen von den Pro- duzenten  in entfremdeter  Gestalt  - ausgeschlossen  von dem Besitz  und der Kontrolle  über die Produktionsmittel  - produziert  werden,  erscheinen  die menschlichen  Verhältnisse  im Bewußtsein  der Produzenten  und  Kapitalisten  als Herrschaft der Dinge über die Menschen. Hinter diesen «versachlichten Produktionsbeziehungen»  liegen die menschlichen Verhältnisse in der Form von Klassenverhältnissen. Was macht nun aber nach Marx die Klasse zur Klasse?

Im 18. Brumaire des Louis Bonaparte heißt die Antwort: «Sofern Millionen und Abermillionen Familien unter solchen wirtschaftlichen Verhältnissen leben müssen, die ihre Lebensweise, Interessen und Bildung von denen anderer Klassen trennen und sie ihnen gegenüber zu Feinden machen, bilden sie eine Klasse. Sofern nur eine lokale Beziehung besteht zwischen den Bauern, die Parzelleneigentümer  sind und bei ihnen die Gemeinsamkeit  ihrer Interessen  keine Einheit, natürliche Verbindung und politische Organisation schafft, bilden sie keine Klasse» (MEW, Bd. 8, Berlin 1960, S.198), und im Elend der Philosophie: «Die ökonomischen Verhältnisse haben die Masse der Bevölkerung zu Arbeitern umge- wandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für die Masse eine gemeinsame Situation und gemeinsame Interessen geschaf- fen. Auf diese Weise ist diese Masse schon eine Klasse gegenüber  dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. Im Kampf [...] findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen.  Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf» (MEW Bd. 4, Berlin 1964, 5. i8i). Zur Vollständigkeit der Klassenwirklichkeit gehört nicht nur, daß die Klassenindividuen gemeinsame ökonomische Interessen haben. In diesem Falle ist die Klasse nur ökonomisch, nur objektiv durch die Stellung im Produktionsprozeß  bestimmt.  Die historisch relevante Klassenwirklichkeit  ist erst dann erreicht, wenn die Menschen zum Bewußtsein  ihrer Klasse kommen, zum Klassenbewußtsein.  Der Marxismus als revolutionäre Theorie gegen alle Verhältnisse, unter denen der Mensch verlassen,  einsam und ausgebeutet  ist, steht und fällt mit einem richtigen Ver- ständnis des Klassenbewußtseins.  Der Klassenkampf macht diese objektive, ökonomische und wissenschaftliche  Wirk- lichkeit  der Klasse  subjektiv,  politisch  und praktisch-Irritisch.  Der Begriff  der Klasse  darf so nicht statisch,  als von Ewigkeit zu Ewigkeit gegeben, sondern nur dynamisch, als sich allein im Kampfe herausbildende geschichtliche  Wirk- lichkeit verstanden werden. Die Herausbildung der lohnabhängigen Massen zur revolutionären Klasse ist das Ziel und die Tendenz des revolutionären Prozesses, nicht Ausgangspunkt.  Ausgangspunkt der taktischen Überlegungen für den Klassenkampf bleibt allerdings die ökonomisch-wissenschaftliche  Lage der Klasse des Proletariats. Jede wirklich revolutionäre Praxis reduziert die Differenz zwischen dem passiv-ökonomischen  Sein und dem aktiv-revolutionären  Han- deln,  dem  praktisch-kritischen  Klassenbewußtsein.  Der  naturwüchsige  und  blinde  Zwangscharakter  der  wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten,  der ihnen den Charakter einer übergeschichtlichen  «Naturgesetzlichkeit»  zu geben scheint, wird durch die bewußte  Tätigkeit  des praktisch-kritischen  Klassenbewußtseins  durchbrochen.  Im Klassenkampf  des Proletariats  wird der historische  Dualismus  von Theorie und Praxis tendenziell  aufgehoben.  Die Theorie kann dem praktischen Handeln nicht gegenübergestellt  werden, denn «allein durch die Theorie wird sie zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift»  (Karl Marx: Exner A. Die Grenzen des Kapitalismus: wie wir am Wachstum scheitern. - Wien: Ueberreuter, 2008, S.85). Darin liegt die praktisch wirksame Funktion des Bewußtseins  in der Geschichte,  wie sich später zeigen sollte, auch des falschen Bewußtseins.

In der Sprache der Erkenntnistheorie heißt das: Die gesellschaftliche  Erkenntnis ist gesellschaftliche  Veränderung. Die Erkenntnis  der  gesellschaftlichen  Situation  trägt  handlungsartigen  Charakter,  weil  das  Handeln  dialektisch-identisch dem Erkennen ist. Damit ist das Problem des Klassenbewußtseins  gegeben.  Dieses historische Selbstbewußtsein  des Proletariats entsteht nur im bewußten Klassenkampf, bei dem auch die Theorie und ihre Weiterentwicklung zum Klas- senkampf gehört. Es kann sich nur in einem langen und schmerzlichen  Prozeß herausbilden, denn die herrschenden Klassen versuchen mit allen Mitteln, diesen Bewußtwerdungsprozeß der lohnabhängigen Massen zu verhindern. Gegen die Fraktion Willich-Schapper sagte Marx in den Enthüllungen über den Kommunistenprozeß in Köln: «Statt der wirklichen Verhältnisse wird ihr der bloße Wille zum Triebrad der Revolution. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkriege durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern um euch selbst zu ändern [Hervorhebung d. Vf.), um zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt ihr im Gegenteil: Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen oder wir können uns schlafen legen... Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat» (MEW, Bd. 8, Berlin 1990, S.412 f). Der prozessuale  Charakter  der Herausbildung  der revolutionären  Klasse  des Proletariats  und seines  Klassenbewußtseins bestimmt auch die Grundproblematik  des revolutionären Marxismus: die Einheit von Theorie und Praxis. Diese Einheit, die die marxistische  Gesellschafts-  und Geschichtsphilosophie  mit der revolutionären  Klassenkampfpolitik - als Philosophie der Praxis - in dialektische Einheit bringt, ist ebenso wie die Klasse keine fertige Einheit, sondern selbst nur als Produkt widersprüchlicher geschichtlicher Prozesse zu begreifen.

Die Totalität der materiellen Produktion - als der bedingenden Grundlage aller Prozesse der gesellschaftlichen  Ausein- andersetzung in der kapitalistischen  Formationsperiode - ist in letzter Konsequenz nur ein Teil der gesellschaftlichen Totalität. Die Kjassen, die Subjekte der Produktion nehmen nicht nur an der Produktion und am Tausch Anteil. Sie kämpfen auch gegeneinander  um die Macht und um die jeweilige  gesellschaftliche  Struktur,  sie zu erhalten oder sie revolutionär umzuwälzen. Der Produktionsprozeß  schlägt unter bestimmten  Bedingungen in Klassenkampf,  in politische Auseinandersetzung  um, sie durchdringen  sich ununterbrochen  wechselseitig.  Das bewußtgewordene  Proletariat wirkt durch sein politisches Handeln so auch auf die Produktion ein: «Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst» (Reichelt Helmut. Neue Marx-Lektüre. Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik.-Hamburg 2008,S.181).

Was sind nun aber für Marx die Bedingungen dafür, daß die revolutionäre Klasse sich zur größten Produktivkraft  ent- falten kann? Der «normale»  Gang der kapitalistischen  Produktionsweise  produziert  eine «integrierte»  Arbeiterklasse:

Im Fortgang  der kapitalistischen  Produktion  entwickelt  sich eine Arbeiterklasse,  die aus Erziehung,  Tradition,  Ge- wohnheit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Überbevölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwertungsbedürfnissen  des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. «Außerökonomische,  unmittelbare Gewalt wird zwar noch immer angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den Naturgesetzen der Produktion überlassen bleiben, das heißt seiner aus den Produktionsbedingungen  selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten  Abhängigkeit vom Kapital» (Kockshott Paul W., Kotrell A., Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie.-Köln:PapyRossa Verlag, 2006, S.71). Allein in der tiefen ökonomischen Krise, als einer Krise der Gesamtgesellschaft,  kann die verinnerlichte und mehr oder minder akzeptierte ökonomische Gewalt des Kapitalverhältnisses  vom Produzenten problematisiert  werden, entsteht die objektive Möglichkeit für die Entstehung eines revolutionären Klassenbewußtseins  auf der Grundlage des politischen Klassenkampfes zwischen Lohnarbeit und Kapital.

Schon nach Marx, erst recht bei Lenin wird der politische Klassenkampf von den Arbeiterparteien geführt, wobei nach Marx sich die Kommunisten  «von den übrigen Arbeiterparteien  nur dadurch unterscheiden,  daß einerseits  sie in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Ent- wicklungsstufen,  welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft,  stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten» (Kommunistisches  Manifest, MEW, Bd. 4, Berlin 1964, 5.474/). Die Kommunisten wollen weder die proletarische Bewegung durch besondere Prinzipien modeln, noch sind ihre Interessen von denen der Gesamtbe- wegung getrennt. In der historischen Praxis der Arbeiterbewegung ist dieser Gedanke einer Einheitsfront aller lohnabhängigen Massen gegen die politischen und ökonomischen  Herrschaftsmechanismen  der Bourgeoisie  bis heute noch nicht verwirklicht worden.

Als am Ende des Weltkrieges die erste Weltkrise des kapitalistischen Systems viralent wurde, galt es für alle revolutionären Parteien innerhalb des damaligen Weltsystems des Kapitalismus - auch diese konkrete Totalität des Welt- markts war noch nicht wirklich weltweit - diese historische Möglichkeit zu aktualisieren,  den kapitalistischen Staat und die ihn bedingende Produktionsweise umzuwälzen, eine sozialistische Welt ohne profitmaximierende  Monopole, ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und ohne Krieg zu erkämpfen.

Diese  Frage  verweist  uns  auf  die  andere  Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Ideologie  und  Ökonomie.  Der  sozial-ökonomische Zerfallsprozeß der kapitalistischen Produktionsweise  setzte starke Massenaktionen gegen das kapitalisti- sche System frei. Im «klassischen» Verhältnis von Ökonomie und Ideologie ist die spontane Massenaktion die subjekti- ve Seite des objektiven  ökonomischen  Prozesses.  Daraus bestimmt  sich auch die Rolle und Funktion  der Partei im revolutionären Prozeß: sie kann den Prozeß beschleunigen,  movens der Bewegung sein, aber nie getrennt von der Bewegung der Massen, die sich in letzter Konsequenz unabhängig von der Partei durchsetzt - so oder so. Die Partei darf in dieser Konzeption keine selbständige Initiative, getrennt von den Massenaktionen durchführen, würde in der «klassischen» Konzeption nur als Blanquismus  beziehungsweise  Putschismus  verstanden werden können. Diese Konzeption geht von dem «naturgesetzlichen»  Charakter der ökonomischen und damit auch der politischen und ideologischen Prozesse aus. In der aktivistischen,  praxisorientierten Marxschen Theorie kann dieses Verhältnis nur für die transitorische Notwendigkeit  des Kapitalismus zutreffen, für jene Periode also, wo der Kapitalismus historisch-progressiven  Charakter hatte. Die Marxschen  «Naturgesetze»  des gesellschaftlichen  Lebens  beruhen gerade auf der «Bewußtlosigkeit  der Beteiligten»,  sie führen die Gesellschaft  in die Krise des Systems hinein, aber verbürgen in keiner Weise eine sozialistisch-revolutionäre  Wendung der Krise. Die Marxschen Aussagen über den historischen Charakter der Aussagen der Gesellschaftswissenschaften einschließlich der Ökonomie zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie «revolutionäre Wissenschaft»,  Selbsterkenrttnisse  eines je besonderen gesellschaftlichen  Zustandes sind, also in keiner Weise vulgär- marxistisch als zeitlos gültige Gesetze der menschlichen Gesellschaft aufzufassen sind. (Habermas Jurgen. Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. – Frankfurt am Main,2002, S.91). Die Frage ist, ob unter den Bedingungen des «Sprunges aus dem Reich der Notwendigkeit  in das Reich der Freiheit» (Engels), der ja nur als Prozeß der Transformation des Kapitalismus zu verstehen ist, noch die «naturgesetzlichen»  Prozesse sich durchsetzen. «Wann, wo, unter welchen Bedingungen und inwiefern setzt dieser ein? Die Beantwortung dieser Frage, die, wie fast alle Fragen von einschneidender  theoretischer  Wichtigkeit,  leider so gut wie niemals aufgeworfen wurde, ist für die Bestimmung  der Taktik der Parteien von höchster praktischer Wichtigkeit.  Denn falls der Beginn dieses Prozesses in die Periode der letzten Krise des Kapitalismus gesetzt wird, müssen aus dieser theoretischen Stellungnahme die weitgehendsten taktischen Schlußfolgerungen gezogen werden» (Lafontaine O. Keine Angst vor der Globalisierung: Wohlstand und Arbeit fur alle.-Berlin/Bonn: J. H. W. Dietz Verlag, 2009, S.211). Hier gewinnt die  subjektive,  aktivistische  und  voluntaristische Revolutionstheorie ihren  materialistischen  Begründungszusammenhang: allein die bewußte Tat des revolutionären Proletariats kann die objektive Krise des kapitalistischen Systems in die revolutionäre  Transformation  des  Systems  umsetzen.  Als  Alternative  für  ein  Versagen  des  Proletariats  nennt  die Marxsche Theorie und die historische Praxis den Untergang der kämpfenden Klassen oder - um mit Rosa Luxemburg zu sprechen - die "Barbarei".

 

Literaturverzeichnis:

1.Exner A. Die Grenzen des Kapitalismus: wie wir am Wachstum scheitern. Christian Lauk , Konstantin Kulterer. - Wien : Ueberreuter, 2008.  - 223 s.

2.Exner A. (Hg.Ernst Lohoff). Losarbeiten Arbeitslos – Globalisierungkritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft.– Münster: Unrast  Verlag, 2005.-284 s.

3.Gorz A. Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft.-Hamburg: Rotbuch Verlag 1994.-388 s.

4.Habermas Jurgen. Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. – Frankfurt am Main:Suhrkamp Verlag,2002. -195 s.

5.Jappe A. Die Abenteuer der Ware. – Münster: UNRAST-Verlag,  2005. - 253 s.

6.Kockshott Paul W., Kotrell A. Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie.-Köln:PapyRossa Verlag, 2006. - 267 s.

7.Kurz R. Kollaps der Modernisierung: vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie. - Frankfurt am Main:Eichborn, 2009. - 288 s.

8.Kurz R. Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. - Munchen: Ullstein, 2001, - 456 s.

9.Lafontaine O. Keine Angst vor der Globalisierung: Wohlstand und Arbeit fur alle.-Berlin/Bonn: J. H. W. Dietz Verlag, 2009.-352 s.

10.Reichelt H. Neue Marx-Lektüre. Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik.- Hamburg: VSA-Verlag, 2008 384 s.