Ôèëîñîôñêèå íàóêè/2. Ñîöèàëüíàÿ ôèëîñîôèÿ
Sintschenko V.V.
Kiew,
Ukraine
DIE WIDERSPRÜCHE UND DES WANDLUNGEN DES SPÄTKAPITALISMUS. DIE
KRITISCHE THEORIE DES NEOMARXISMUS ALS EINER NEUEN MARXLEKTÜRE
Der Marxismus als
«Erkenntnistheorie des
revolutionären Willens», wie er besonders in den Feuerbachthesen entwikkelt wurde, verwandelte sich in der
Sowjetunion noch unter Lenin zu einem staatserhaltenden Mythos. Von Marx hatte
Lenin die Überbetonung der Leitung und Direktion übernommen. Die
«neuen Funktionäre» hatten Befehle auszufüh- ren - mit Initiative:
«Und nachdem die Praxis der Revolution diesen Punkt erreicht hat, verwandeln
sich beide, Theorie und Mythos in ein durch veränderte Verhältnisse
nicht mehr verändertes Dogma. Und in eine für jeden unmittelbaren
Zweck brauchbare und gebrauchte Ideologie (Heteronomie der Zwecke).
Vulgatalesen = Ketzerei. Wechselnde Ausle- gungen Orthodoxie» (Karl Korsch: Buch der Abschaflungen, Institut
für Sozialgeschichte, 1985, S.9).
Um zu einer
materialistischen Erklärung der
Verbürgerlichung (Integration) des
Proletariats in den hochentwickelten kapitalistischen Staaten Mitteleuropas
vorzudringen, müssen wir zwei Sphären im wesentlichen analysieren:
a) Die Theorie der
Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft nach Marx und ihre verkürzte Rezeption durch die
Theoretiker und Praktiker
der revolutionären Arbeiterbewegung. Wandlungen des Kapitalismus.
b) Welche Faktoren in den
Klassenindividuen des Proletariats hemmen die Herausbildung eines
rnilitant-aktivistischen Klassenbewußtseins? Exkurs ad a)
Drei Haupttatsachen
kennzeichnen nach Marx die kapitalistische Produktion:
1. Konzentration der Produktionsmittel in
wenigen Händen, wodurch sie aufhören, als Eigentum der unmittelbaren
Arbeiter zu erscheinen, und sich dagegen in gesellschaftliche Potenzen der Produktion verwandeln. Wenn
auch zuerst als Privateigentum der Kapitalisten. Diese sind Trustees
der bürgerlichen Gesellschaft, aber sie sacken
die Früchte dieser Trusteeschaft ein.
2. Organisation der Arbeit selbst, als gesellschaftlicher:
durch Kooperation, Teilung der
Arbeit und Verbindung der Arbeit mit der Naturwissenschaft. Nach beiden Seiten hebt die
kapitalistische Produktionsweise das Privateigentum und die Privatarbeit auf,
wenn auch in gegensätzlichen Formen.
3. Herstellung des
Weltmarkts, Die ungeheure Produktivkraft,
im Verhältnis der Bevölkerung, die innerhalb der
kapitalistischen Produktionsweise sich entwickelt und, wenn auch nicht im
selben Verhältnis, das Wachsen der Kapitalwerte (nicht nur ihres
materiellen Substrats), die viel
rascher wachsen als
die Bevölkerung, widerspricht der, relativ zum
wachsenden Reichtum, immer schmaler werdenden Basis, für
die diese ungeheure Froduktivkraft wirkt, und den
Verwertungsverhältnissen dieses
schwellenden Kapitals. Daher die Krisen.
Mit der
Herausbildung des Kreditwesens kommt es
auch zur Entstehung von Aktienunternehmungen,
die die Tendenz haben, die Verwaltungsarbeit der industriellen und merkantilen «Dirigenten» (Marx), und zwar
die Verwaltungsarbeit als Funktion immer mehr von dem Besitz des Kapitals zu
trennen. «Indem aber einerseits dem bloßen Eigentümer des Kapitals, dem Geldkapitalisten der fungierende Kapitalist
gegenübertritt, und mit der
Entwicklung des Kredits dies Geldkapital selbst einen gesellschaftlichen
Charakter annimmt, in Banken konzentriert und von diesen, nicht mehr von seinen
unmittelbaren Eigentümern ausgeliehen wird, indem andererseits aber der
bloße Dirigent, der das Kapital unter keinerlei Titel besitzt, weder
teilweise noch SonStwie, alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchen zukommen, bleibt
nur der Funktionär und verschwindet
der Kapitalist als überflüssige Person aus dem
Produktionsprozeß».
Durch die
Aktiengesellschaften erfolgt eine
«ungeheure Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion». Für die Einzel-
kapitale der Vergangenheit war das nicht möglich gewesen. Das Kapitel
nimmt in den Aktiengesellschaften die
Form von «Gesellschaftskapi tal
(Kapital direkt assozuerter Individuen)» an, «im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als
Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Auf- hebung des
Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen
der kapitalistischen Produktionsweise selbst» (Marx,5.477/).
Wie darin der «wirklich fungierende Kapitalist» durch den «bloßen
Dirigenten», dem «Verwalter fremden Kapitals» ersetzt wird, so wird aus dem
ehemaligen Kapitaleigentümer ein
«bloßer Eigentümer»,
«bloßer Geldkapitalist»:
Selbst wenn die
Dividenden, die sie beziehen, den Zins
und Unternehmergewinn, d.h. den
Totalprofit einschließen (denn das Gehalt des Dirigenten ist, oder soll sein, bloßer
Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter Arbeit, deren Preis im Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder
andren Arbeit), so wird dieser Totalprofit nur noch bezogen in der Form des
Zinses, d.h. als bloße
Vergütung des Kapitaleigentums, das nun ganz so von der Funktion im
wirklichen Reproduktionsprozeß
getrennt wird, wie diese
Funktion in der Person des
Dirigenten vom Kapitaleigentum. Der
Profit stellt sich so dar als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit,
entspringend aus der Verwandlung der Pro- duktionsmittel in Kapital, d.h. aus
ihrer Entfremdung gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem
Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion
tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten Tagelöhner.
In den Aktiengesellschaften ist die
Funktion getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich
getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Dieser Vorgang ist für Marx
historisches Resultat der höchsten Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise, andererseits «notwendiger
Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der
Produzenten als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares
Gesellschaftseigentum. Es ist andererseits
Durchgangspunkt zur Verwandlung aller
mit dem Kapitaleigentum bisher noch
verknüpften Funktionen im
Reproduktionsprozeß in
bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche
Funktionen. Marx sieht in den Aktiengesellschaften in der Tat «die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen
Produktionsweise selbst» (Gorz
A. Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der
Arbeitsgesellschaft.-Hamburg: Rotbuch Verlag 1994, S.179) und versteht sie als «bloßen Übergangspunkt» zu einer neuen gesellschaftlichen Form der Produktion. Dieser
«sich selbst aufhebende
Widerspruch» schafft in bestimmten Sphären das «Monopol»
und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er reproduziert eine neue
Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektemachern,
Gründern und bloß nominellen Direktoren, ein ganzes System des
Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und
Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums»
(Exner A. Die Grenzen des Kapitalismus: wie wir am Wachstum scheitern. - Wien:
Ueberreuter, 2008, S.80).
Luka'cs, der
sich neben Lenin
in den zwanziger Jahren
am meisten verdient
gemacht hat um
eine radikale Marx- Rezeption, greift in Geschichte und
Klassenbewußtsein, auf die
Darstellung der Aktiengesellschaft als «Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise
selbst» zurück, nimmt es
aber nicht sehr ernst, sieht im materiellen Produktions- und
Reproduktionsprozeß der kapitalistischen Gesellschaft keine relevanten
Veränderungen. Das Froblem der
Staatseinmischung in den
sozialökonomischen Prozeß
wird weder bei Lenin noch bei Lukäcs zum Problem. Aber gerade in diesen
beiden neuen Phänomenen, die bei Marx nur bruchstuckweise oder nur
hinweisartig vorliegen, hätte sich revolutionäre Wissenschaft
festzumachen gehabt, hätten die aus den Veränderungen in der materiellen Produktion sich
ergebenden klassensoziologischen
Veränderungen proble-
matisieren müssen. Nur so wäre eine für die Zeit der Krise nach
dem Weltkrieg historisch-rnaterialistische
Theorie der revolutionären Veränderung möglich geworden.
Das unkritische Festhalten an den «bewährten Formeln» der Klassiker
degradiert den revolutionären Kampf auf die Stufe der begrifflosen Praxis
oder des blinden Aktivismus.
Der Grundwiderspruch
für die von Marx analysierte kapitalistische Forma üonsperiode war,
daß die gesellschaftlich vermittelte
Produktionsweise nicht eine
gesellschaftliche Aneignung, sondern
eine private, auf der Grundlage der Trennung von Kapital und Lohnarbeit
implizierte. Organisation und Planung
im Einzelbetrieb, Anarchie in der
Gesamtgesellschaft.
Dieser
Grundwiderspruch gewinnt im
Prozeß der widersprüchlichen
und ungleichmäßigen
Entwicklung des Kapitals mannigfaltige
Formen. Die Tendenz der
schrankenlosen Entfaltung der Produktivkräfte und der beschränkten Verwertungsbedürfnisse des Kapitals konstituieren die Grundtendenz
des kapitalistischen Grundwiderspruchs in je spezifischer Form.
Der Kapitalismus
paßt sich 1. an das je historische quantitative und qualitative Wachstum
der Produktivkräfte an, 2. an den
je erreichten Stand der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Die rasche
Entwicklung des Kapitalismus durch beschleunigten technischen
Fortschritt und durch
Ausdehnung des kapitalistischen Feldes
führten zu einer ungeheuren Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Produktivität. Ganze neue Industriezweige entstanden,
schufen neue Bedürfnisse etc. Der industrielle Produktionsprozeß
selbst unterliegt seit Taylor und Ford qualitativen
Veränderangen (Arbeitszerlegung,
Ökonomisierung als Wissenschaft, Normung, Standardisierung,
Marktsicherung, gesamtgesellschaftliche Statistik
etc.). An die Stelle der Konkurrenz
der Privaten sind die Marktabsprachen der korporierten Eigentümer
getreten. Dahinter liegt die Tendenz der Vergesellschaftung im Kapitalismus, drückt sich aber auch
eine bewußtere Form des gesellschaftlichen Zusammenhanges der Produzenten aus. Stei- gende Mehrwertraten, absolute Zunahme der
beschäftigten
Bevölkerung lassen auch
die Mehrwertmasse steigen. Wachsende Produktivität der
Arbeit ist nur ein anderer Ausdruck dafür. Diese Mehrwertmasse wird
für den Akkumu- lationsprozeß
bereitgestellt. Konkrete Schranken
der Akkumulation sind
Produktionskapazität
und Proportionalität. Das
akkumulationsbereite Kapital gerät
in Widerspruch mit diesen Bedingun-
gen; versucht durch technischen Fort-
schritt, künstlich geschaffene Bedürfnisse, Export von Kapital,
Erschließung neuer Länder etc. die Schranken zu überwinden. Der
permanente Hunger nach Verwertungsmöglichkeiten ist der Motor der kapitalistischen Entwicklung. Insofern die
Ausdehnung des äußeren Feldes der kapitalistischen Produktion immer
schwerer wird - die Aufteilung der Welt ist beendet -, wird der technische
Fortschritt immer mehr zum entscheidenden Akkumulationsmotor. Allerdings gibt
es auch hier immanente Schranken. Immer weniger Froduktionszweige sind noch nicht voll
durchindustrialisiert. (Landwirtschaft)
Gewissermaßen werden immer mehr nur noch ganze neue Industrien zum
bestimmenden Träger des Ak- kumulationsprozesses.
Diesen neuen Industrien
stehen in zunehmenden Maße Industrien gegenüber, die
kapitalgesättigt sind,
akkumulations- unfähig geworden sind. Der zumeist hohe Anteil des fixen
Kapitals macht diese Produktionszweige für die Dauer des Abbauprozesses stützungsbedürftig. Der Anstoß zu etatistischen Maßnahmen kommt
gerade von diesen bedrohten Produktionszweigen. Die akkumulationsunfähigen Wirtschaftszweige drücken die ökonomischen Totgewichte der ka-
pitalistischen Gesellschaft aus, zeigen die objektiven Schranken der
Akkumulation an, hemmen andererseits die «ungestörte» ökonomische Gesamtentwicklung.
Die Entfaltnng einer
immer höheren Produktivität der Arbeit auf
der Grundlage des technischen Fortschritts läßt den Akkumulationsfonds ständig wachsen. Die begrenzten Verwertungs - möglichkeiten
des Kapitals und die nur immer schwerer überwindbaren Schranken der
Akkumulation haben notwendigerweise die verschiedensten Formen der Kapitalvernichtung zur Folge. Das Wachstum der physischen
(Stillegungen, Vorratsvernichtung,
Krieg) und funktionalen (jede
Kapitalausgabe für
unproduktive Zwecke, Anwachsen der unproduktiven Staatsausgaben
u. a. m.) Kapitalvernichtung zeigt die
«Überfälligkeit» des Systems an. Die ungeheure Steigerung der Jaux
frais (toten Kosten) der kapitalistischen
Produktion drückt die Gesamtheit
der Kapitalvernichtung aus. Die Differenz zwischen der technologisch
möglichen Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, der
ungeheuren Steigerung der
Produktivität der Arbeit und der faktischen Steigerung wird immer
größer. Damit auch die Spannung zwischen dein möglichen
Lebensstandard bei einer vollen Beseitigung der kapitalistischen Fesseln und
dem faktischen Lebensstandard immer mehr vergrößernd. «Der letzte
Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und
Konsumtionsbeschränkung der
Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion,
die Produktivkräfte so zu
entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit
der Gesellschaft ihre
Grenze bilde» (Lafontaine Oskar. Keine Angst vor der
Globalisierung: Wohlstand und Arbeit fur alle.-Berlin/Bonn: J. H. W. Dietz
Verlag, 2009, S.228).
Diese «wirkliche Krise» setzte sich dann auch zwischen als
Weltwirtschaftskrise durch. In ihr
versagte der parlamentarische Staat, jene große «Interessentenbörse» (Sering), in der die verschiedenen Klassen
um Kompromisse rangen. Dieser politische Handel trug stets
Resultantencharakter. Vermittelt über den Staat geschah die Verteilung
des Sozialprodukts nicht mehr unmittelbar nach der ökonomischen Stärke
der einzelnen Gruppen. Die Verteilung wur- de
«herrschaftsmäßig»
politisiert, nach dem jeweiligen politisch-sozialen Gewicht
erhielten die Gruppen ihre «Belohnungen». In der Krise nun sank mit dem
Rückgang der Produktion die Aktionsfähigkeit aller Klassen. Die
Arbeitslosigkeit, strukturelles Zeichen des Kapitalismus in der Periode der
unausgenützten Kapazitäten,
nahm sehr schnell zu, die politische und menschliche Entfremdung zwischen den
Arbeitenden und den Arbeitslosen gleichermaßen. Die Interes-
sensolidarität der Proletarier
erlitt starke Einbußen. Die früher auch
im Schicksal der einzelnen
Schichten sinnlich sichtbare
Einheit der Arbeiterklasse ging
verloren. Aus der zunehmenden
Mechanisierung des
Produktionsprozesses folgt in der Logik des Kapitals eine Reduzierung der in
der Produktion beschäftigten Arbeiter: Statt der Arbeit werden die
Arbeiter abgeschafft. Die
Dauerarbeitslosen und die Beschäftigten unterschieden sich in ihrem Bewußtsein
und in ihrem Leben. Arbeit und Elend bildeten im Begriff und in der
Wirklichkeit des Marxschen Proletariats eine Einheit. Nach dem Ersten Weltkrieg
kam es in Mitteleuropa nie mehr zu dieser subversiv-sprengenden Einheit. Schon in den erwähnten
Märzkämpfen zeigte sich der Bruderkampf zwischen Arbeitslosen und
Beschäftigten, der sich in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre in
der Krise sehr verschärfte. Nicht das Leben der Produktiven, sondern das
der Arbeitilosen war eine Hölle. Sie benötigten zuallererst die Umwälzung
des Systems. Sie aber hatten weder die Ausbildung noch die
Organisationsfähigkeit, die das
deutsche Proletariat vor dem
Ersten Weltkrieg auszeichnete. Das fehlende Verständnis
für die Theorie wurde temporär durch Weltanschauungen ersetzbar. Diese doppelte geschichtliche Daseins- weise des deutschen Proletariats
drückte sich nun in den zwanziger Jahren auch in der Existenz zweier
Arbeiterparteien aus. Ihr gegenseitiger
Kampf, der in der Parole der Kommunisten vom Sozialfaschismus der
Sozialdemokratie kulmi- nierte,
vervollständigte die Ohnmacht der deutschen Arbeiterbewegung. Der Sieg des Faschismus hatte kein Moment von Notwendigkeit mehr in sich, er wurde sehr leicht
möglich, weil die Arbeiterbewegung sich als unfähig erwies, die
langandauernde Krise sozialistisch-revolutionär zu wenden. Sie wurde vielmehr zum Objekt der Krise, und damit war
der Weg für den Faschismus frei.
Die «Theorie» der
kommunistischen und der
sozialdemokratischen Partei nahm auch
nicht die aus den «Wandlungen des Kapitalismus» ersichtlichen
klassensoziologischen Veränderungen in die sozialistische Strategie auf,
ver- traute wei- ter auf die alten Schemata.
Die strukturell
Arbeitslosen stellten zusammen mit den Rentnern völlig funktionslose
Schichten dar, drückten den wachsenden
Anteil der Unproduktiven an der Gesamtbevölkerung aus.
Der schnell wachsende
Verteilungsapparat schuf ein riesiges Angestelltenheer. Über diesen Weg lief schon seit
geraumer Zeit ein relevanter Teil der funktionalen Kapitalvernichtung. Noch stärker wuchsen der Verwaltungs-
und Militärapparat, der zur Schaffung künstlicher Beam-
tenschichten führte, die den wachsenden Steueranteil des
Staates wieder vernichten. Beamtenschaft und Militär sind unproduktive und parasitäre Gruppen,
die sehr schnell in der revolutionären Umwälzung als
Cewaltorganisationen der herrschenden
Klasse aufgelöst und zerschlagen werden müssen.
Zur Umschichtung
innerhalb der Arbeiterklasse selbst kommt noch hinzu, daß infolge der
Mechanisierung des Arbeits- prozesses der Anteil der gelernten Arbeiter - wie
schon angedeutet - sich notwendig verringern wird. Es wächst jedoch die
steigende Unentbehrlichkeit dieser
relativ kleinen Schicht der Produktionsintelligenz, das heißt die Bedeutung
der technischen und ökonomischen Intelligenz für den
gesellschaftlichen
Reproduktionsprozeß. Eine
revolutionäre Strate- gie für die hochentwickelten kapitalistischen
Länder kann von dieser Schicht nicht abstrahieren, müssen sich doch
gerade aus ihr jene revolutionären Spezialisten herausbilden, die die
zentrale Leitung der Ökonomie und die Entfaltung der Masseninitiative
nicht als sich ausschließenden Gegensatz, sondern als dialektische
Einheit des sozialistischen Transformationsprozesses praktisch begreifen.
In der
Weltwirtschaftskrise waren wieder sehr
viele Länder bis an den Rand der Revolution gedrängt worden. Es
zeigte sich, daß der Kapitalismus mit den normalen Mitteln der
Krisenüberwindung hier nicht mehr zu Rande kam. Erstmalig wurde der
Staatsinterventionismus international
als das entscheidende Mittel der Krisenüberwindung systematisch ein-
gesetzt. Es geht um eine Sanierung auf der Basis der gegebenen
Besitzverhältnisse. Die unter den
herrschenden Bedin- gungen konkurrenzfähigen Produktionszweige
können um die Mittel zur Erweiterung ihres Exploitationsfeldes
kämpfen. Diese ständige Begleiterscheinung des Kapitalismus wird
dadurch qualitativ neu, daß die
Anwendung politischer Methoden zur Aufrechterhaltung vom Standpunkt rationeller kapitalistischer Kalkulation
historisch überholter Besitz- und Produktionsverhältnisse überwiegt. Die Erklärung für
diese Erscheinung liegt darin, daß gesellschaftlich und poli- tisch entscheidende Teile des
Kapitalismus ihre sozialökonomische Position
auf fortschrittlichem Wege
nicht mehr halten können,
darum reaktionär geworden sind. Die noch akkumulationsfähigen Produktionszweige haben weder die Kraft noch die Mittel, sich gegen den staatlich-gesellschaftlichen
Apparat und den von ihm abhängigen stützungsbe- dürftigen Produktionszweigen politisch durchzusetzen.
Allerdings sind die «ökonomischen
Totgewichte» der akkumulationsunfähigen Industrien für sie ein negatives Bleigewicht. So haben sie
gar keine andere Wahl als den etatistischen Weg des Staates mitzumachen. Die
Gesamtheit der staatlichen Wirtschaftsregulierungen sei hier als Etatismus bezeichnet. Nicht die Verstaatlichung der
Produktionsmittel ist das Ziel des Etatismus, sondern die staatliche Lenkung
des Privatkapitalismus (Mandel
E.E. Einführung in den
Marxismus. – Bonn:Neuer Isp-Verlag,2008, S.32).
Die abstrakte Analyse hat die Aufgabe, die allgemeine Grundrichtung des internationalen Kapitalismus überhaupt zu erkennen. Diese Abstraktion kann uns aber
nichts sagen über den genauen Zeitpunkt und über das Tempo der Verar-
beitung des Etatismus, auch nichts über seine Realisierbarkeit unter je
konkret-historischen Bedingungen. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit jedoch
sind seine Grenzen enger. Das Kapitalverhältnis gerät in immer
größeren und bedeu- tungsvolleren Bereichen in Widerspruch mit den
Produktivkräften, die sich nur
noch entfalten können um den Preis ihrer eigenen Vernichtung. Der Umschlag
von den die Menschen von unnötiger Arbeit befreienden Produktivkräften
in die die Menschen als Gattung bedrohenden
Destruktivkräfte war und
bleibt die Bedingung für die
Möglichkeit des historisch relevanten
Eingriffs der Massen in die Geschichte. Die Naturgesetze der
kapitalistischen Produktion, die Marx analysierte, kannten noch nicht die
systematische Doppelfunktion des Staates, als wirtschaftspolitischer Regulator
und als unmittelbar
ökonomische
Tätigkeit der öffentlichen Hand (Meyer
Th. Grundwerte und Wissenschaft im demokratischen Sozialismus. – Berlin/Bonn:
J. H. W. Dietz Verlag, 2008, S.97). Die gesellschaftliche Organisation des Kapitals wächst in
widersprüchlicher Form.
Die Notwendigkeit der gesamtgesellschaftlichen Regelung, forciert durch das ständige
Wachstum des Gesamtumfangs ökonomischer
Staatstätigkeit,
beseitigt teilweise die Anarchie der kapitalistischen Produktion.
Die schon weiter oben angedeuteten neuen Tendenzen in der Klassendynamik
wurden durch die neue Funktionsbestimmung des Staates noch sehr viel
deutlicher. Das revolutionäre Subjekt der kapitalistischen Formationsperiode
war durch das Versagen der Arbeiterbewegung und durch die historische Praxis
des Kapitals zersetzt worden. Was aber war an seine Stelle getreten?
Die Psychoanalyse als die
Lehre von den Konsequenzen des Triebverzichts entlarvte die Familie als Ort der
Auseinandersetzung mit dem Vertreter der Herrschaft, mit dem Vater als den
Repräsentanten des in der Gesellschaft herrschen- den Leistungsprinzips.
In der Anerkennung des Triebverzichts wurde dem Kinde, besonders dem Sohne
versprochen, die Nachfolge des Vaters antreten zu dürfen, auch
Repräsentant und Vertreter der Leistungsstruktur der Gesellschaft zu werden.
Das Individuum
mußte schon in vorkapitalistischer Zeit sich Gewalt antun. Um den
Prozeß der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals psychisch und
physisch durchstehen zu können,
mußte es Triebhemmungen, die
ursprünglich von außen, von der Natur kamen, durch das eigene
Bewußtsein setzen. Die Reformation säkularisierte die religiös
verinnerlichten Normen, verlegte die Hemmungsinstanz der Triebe von der Kirche
in das eigene Gewissen. Die Dialektik von Nützlichkeit und Vernunft kennzeichnet die Lage der
unterdrückten Massen. Die Vernunft
in der Klassengesellschaft ist die herrschafts- und
profitorientierte Vernunft der
herrschenden Klasse, die den
Unterdrückten von der Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen
überzeugen muß. Von diesem Allgemeinen aber waren die
Unterdrückten ausgeschlossen, ihr
Triebverzicht wurde gewaltsam herbeigeführt. Sie sind bis heute durch Gewalt bestimmte und gemachte
gesellschaftliche Wesen, bilden noch immer die Basis für die Diktatur von
Minderheiten über die Massen.
«Die religiöse Erneuerung hat den
Menschen instand gesetzt, sein unmittelbares Leben entfernten Zielen
unterzuordnen. Von der kindlichen Hingabe an den Augenblick haben sie die
Massen zu sachlicher Erwägung, zäher Konsequenz und praktischem
Verstand erzogen. Sie haben damit nicht bloß den Menschen im Widerstand
gegen das Schicksal gestärkt, sondern darüber hinaus ihn befähigt, aus der Verstrickung zuweilen hinauszutreten und über Eigeninteressen und Nutzen in
der Kontemplation sich zu erheben. Solche kontemplative Pausen haben jedoch
nichts daran geändert, daß die Zwecke des Bestehenden immer
tiefer verankert werden» (Max
Horkheimer: Vernunft und Selbsterhaltung, 1982, S.32/33). Die für die
Herausbildung und noch mehr für die Existenzweise der bürgerlichen
Gesellschaft unerläß- liche «freiwillige Knechtschaft» der
Menschen ist schließlich die «realitätsgerechte» Form der Selbsterhaltung. Diese autoritäre Grundstruktur ist kapitalistisch
«verwertbar», von ihr ist eine
revolutionäre
Auseinandersetzung gegen die bestehenden Strukturen nicht zu
erwarten.
Im Übergang vom
Konkurrenz- zum
Monopolkapitalismus verlieren breite
bürgerliche Schichten den
harmonischen Zusammenhang zwischen dem individuellen Leben und einer
sinngebenden übergreifenden Ordnung. Der geschichtl i- che Ausdruck dieses
Bruches ist die blinde Hinwendung der autoritär regierten Massen an die
brutalsten Irrationalitä- ten. Mit der Herausbildung der riesigen
Monopole, die zusammen mit den Regierungen ein «undurchdringliches Dikkicht» zwischen sich und den
Beherrschten aufbauten, entstand die Möglichkeit ausgedehnter Planung auf der einen Seite, weltweiter Vernichtungskriege
zwischen den Monopolen auf
Kosten der Massen auf der anderen
Seite. Unter diesen Bedingungen ist für die Aufrechterhaltung des
gesellschaftlichen Status quo nichts
erforderlich als die stramme Ausrichtung der gesellschaftlichen Hierarchie von oben nach unten. Die
Selbsterhaltung der bürgerlichen Gesellschaft und die «Destruktion des
Menschlichen» fallen nun mehr oder minder ungebrochen zusammen.
Die großen
Entwürfe der idealistischen
Philosophie über die
Autonomie des Individuums konnten der
ind'ustriellen Entwicklung in kapitalistischer Form nicht standhalten. Der
Zerfall der Vernunft, die Totalisierung der Irrationalität in der
Produktion der Destruktivkräfte
und die Auflösung des Individuums und seiner autonomen Entfaltung
laufen parallel. Unter der Herrschaft der Monopole hat das Individuum immer nur kurze Fristen. Es muß stets wachsam und bereit sein,
immer auf dem Sprunge, «auf Sprache nur hörend wie Information,
Orientierung, Anordnung, ohne Traum und ohne Geschichte» (Kurz R. Schwarzbuch
Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. - Munchen: Ullstein, 2001, S.40). Auch das Bewußtsein
der Knechtschaft schwindet. Die Ohnmacht des Individuums auf der einen Seite
und die gigantische Kapitalmacht auf der anderen Seite machen es den Menschen
sehr schwer, auch nur noch den Grund ihres Elends zu erkennen. «Die Ideologie
liegt in der Beschaffenheit der Menschen selbst, in ihrer geistigen Reduziertheit, ihrer Angewiesenheit auf
den Verband. Jede Sache wird von ihnen nur im Hinblick auf das
konventionelle Begriffssystems der Gesellschaft erlebt» (Habermas Jurgen.
Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. – Frankfurt am Main:Suhrkamp
Verlag,2002, S.58). Die
Verdinglichung der Menschen ist nicht
so groß, daß sie ohne nagendes Bewußtsein von der
Falschheit und Unmeidchlichkeit der bestehenden Gesellschaft wären.
«So verstümmelt alle auch sind, in der
Spanne eines Augenblicks könnten sie gewahr werden, daß die unter
dem Zwang der Herrschaft durchrationalisierte Welt sie von der Selbsterhaltung
entbinden könnte, die sie jetzt noch gegeneinander stellt. Der Terror, der
der Vernunft nachhuft, ist zugleich das letzte Mittel, sie aufzuhalten, so nah
ist die Wahrheit gekommen» (Kurz R. Kollaps der Modernisierung: vom Zusammenbruch des
Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie. - Frankfurt am Main:
Eichborn, 2009., S.95).
Der zynische und brutale
Terror des Faschismus sollte die
lohnabhängigen Massen daran
hindern, endlich das historisch schon längst überflüssige Kapitalverhältnis zu zerschlagen. Nach der
äußerlichen Niederlage des internationalen Faschismus, besonders
des deutschen, begann nach dem
Zweiten Weltkrieg eine
Reproduktion der Antinomien der bürgerlichen Gesellschaft mit
faschistischen Erfahrungen.
Der Wolkenkratzer Ein Querschnitt durch den Gesellschaftsbau der Gegenwart
hätte ungefähr folgendes darzustellen:
a) die sich
bekämpfenden Trustmagnaten der verschiedenen Gruppen;
b) kleine Maguaten,
Großgrundherren, Stab der wichtigsten Mitarbeiter;
c) freie Berufe,
Angestellte, politische Handlanger, Militärs und Professoren, Ingenieure,
Bürochefs und Tippfräuleins;
d) Reste der
selbständigen Existenzen, Handwerker, Bauern;
e)
Proletariat:,Ungelernte, dauernd Erwerbslose, Arme, Alte, Kranke, Arbeitende;
f) das eigentliche
Fundament des Elends, auf dem sich dieser Bau erhebt: halb und ganzkoloniale
Territorien;
g)... das
unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle der
menschlichen Gesellschaft. (Alles nach Heinrich Regius: Dämmerung. Notizen
in Deutschland, Zürich ,1994, S.132/33.)
Mit der tendenziellen
Beschrännung der Möglichkeiten, die Schranken der Akkumulation des
Kapitals durch Kapitalisierung nichtkapitalistischer Räume - die heutigen Entwicklungsländer - zu kompensieren, mit der dadurch
steigenden Höhe der Kapitalvernichtung durch Rüstung, künstliche
Aufblähung und Schaffung riesiger Verwaltungs- und Büroapparate,
durch strukturelle Arbeitslosigkeit, unausgenutzte Kapazitäten,
herrschaftsorientierte Reklame etc., das heißt mit dem Anwachsen der
gesellschaftlichen, «toten Kosten»
traten schon in den dreißiger Jahren in den hochentwickelten
kapitalistischen Staaten nene
Erscheinungen in der
Dynamik der Auseinandersetzungen zwischen
Bourgeoisie und Proletariat auf
(Kockshott Paul W., Kotrell A. Alternativen aus dem Rechner. Für
sozialistische Planung und direkte Demokratie.-Köln:PapyRossa Verlag, 2006, S.175).
Der Prozeß der
zunehmenden funktionalen und primär herrschaitsorientierten
Kapitalvernichtung im obigen Sinne, ein System von Subventionen an die
stiit:zungsbedürffigen
Industriezweige, die staatliche Regulierung
großer Teile der Produktion und Verteilung halfen mit,
die für das System gefährliche Polarisierung zwischen den beiden
Hauptklassen der Gesellschaft durch ein System von Konzessionen der
Herrschenden an die Beherrschten zu ersetzen, die Integration der
Arbeiterklasse in den Rahmen der herrschenden Gesellschaft im wesentlichen zu
vollenden (Heinrich M. Wie das
Marxsche Kapital lesen? Hinweise zur Lektüre und Kommentar zum Anfang von
„Das Kapital“.-Stuttgart: Schmetterling Verlag, 2009, S.47).
So war es nicht
verwunderlich, daß in den
vierziger Jahren sich eine
tiefgreifende Verschiebung des revolutionären Zentrums in der Welt
durchsetzte.
In den Tagen der faschistischen
Machtergreifung in Deutschland versuchten die Befreiungsarmeen der in Sowjets organisierten chinesischen
Bauern den 4. Vernichtungsfeldzug des
Tschiang Kaischek mit neuen Methoden der Kriegführung zu beantworten, genauer, mit einer neuen Methode des Krieges
überhaupt, mit dem revolutionären
Volkskrieg, dem langandauernden Guerillakrieg immer größer
werdender Teile der politisierten und zu politisierenden Bevölkerung des
Landes gegen die ausländischen Invasoren oder inländischen
Oligarchien.
Diese Form des nationalen
Befreiungskampfes als Teil der
internationalen Emanzipationsbewegung ist nicht zu trennen von dem erreichten
Stand der wdtweiten Entwicklung der Produktivkräfte, von der Gesamtbewegung des Kapitals, das unfähig geworden war,
sich überall einzunisten, die ganze Welt in eine Mehrwert heckende zu
verwandeln.
Damit ergab sich für
die Revolutionäre, für die Völker die historische
Möglichkeit, den emanzipierenden Kampf um die nationale
Selbstbestimmung, um die Beseitigung des massenhaften Elends, um die
Überwindung der Abhängigkeit in ihren verschiedensten Formen
zu beginnen, nicht mehr zu
warten, viel- mehr unter diesen
Bedingungen die eigene Geschichte
bewußt und willentlich zu machen, mitbestimmendes Subjekt des
historischen Geschehens zu werden (Jappe A. Die Abenteuer der Ware. – Münster:
UNRAST-Verlag, 2010. - S.247).