Ïîëèòîëîãèÿ/7.Ãëîáàëèñòèêà
Sintschenko V.V.
Zentrum der
Europäischen Durchforschungen, Ukrainischer humanitärer
Institut, Nationaler Zentrum der internationalen Durchforschungen
EIN BEITRAG ZUR REKONSTRUKTION DES WISSENSGESELLSCHAF
Drei Thesen zur Einleitung
1.Wissen spielt im
gesellschaftlichen Produktionsprozess bereits die bei weitem wichtigste Rolle.
Es ist die entscheidende Produktivkraft. Es ist dazu bestimmt, sowohl einfache
manuelle Arbeit als auch Finanz- und Sachkapital zu subalternen Produktivkräften
herabzusetzen.
Die gegenwärtige
Entwicklung weist auf eine zukünftig mögliche Wissensgesellschaft
hin, ist aber noch weit davon entfernt, deren Möglichkeit zu
verwirklichen. Was bereits heute viele für eine Wissensgesellschaft
halten, welche die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie außer Kraft
setzt, ist bloß die provisorische Form eines Kapitalismus, der Wissen als
Eigentum privater Firmen behandelt und wie Sachkapital verwertet.
2.Zum Übergang in
eine Wissensgesellschaft wird es erst kommen können, wenn die Gesellschaft
Wissen nicht als Fachwissen behandelt, sondern als Komponente einer Kultur, in
der die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten und Beziehungen das
entscheidende Ziel ist. Es liegt im Wesen von Wissen, ein gesellschaftliches
Gemeingut zu sein und im Wesen einer Wissensgesellschaft, sich als
Kulturgesellschaft zu verstehen.
3.Wissen gehört zur
Kultur, ist in sie eingebettet, wirkt auf sie zurück und umgekehrt. Beide
entwickeln sich im universellen Austausch und Verkehr. Eine Wissens- oder
Kulturgesellschaft erfordert, dass allen der bedingungslose Zugang zum gesamten
Wissen sowie die Teilhabe an den wissenschaftlichen und technischen
Errungenschaften gesichert ist. "Wissen ist nicht dazu geeignet, als
exklusives Eigentum behandelt zu werden" ("is not susceptible to
exclusive property") sagte schon Thomas Jefferson. Der Sinn für und
die Pflege von Gemeingut müssen folglich in einer Wissensgesellschaft
gegenüber Privateigentum und Warenbeziehungen überwiegen. Ebenso
wenig wie Wissen ist die Natur dazu geeignet, zum Zweck ihrer Vergeldlichung
privatisiert, instrumentalisiert und vergewaltigt zu werden. Wissen darf nicht
auf kognitiv-instrumentelle technowissenschaftliche Kenntnisse reduziert
werden.
1. Wissenskapitalismus
heute
Wir befinden uns
gegenwärtig in einer Übergangsphase, in der mehrere Produktionsweisen
koexistieren. Der auf die Verwertung von Sachkapital ausgerichtete Kapitalismus
wird mit der schnellen Entwicklung der elektronischen Netzwerktechnologien von
einem auf die Verwertung von "Wissenskapital" ausgerichteten. Da Wissensmonopole normalerweise
kurzlebig sind, sind Firmen immer bestrebt, ihr Monopol durch den symbolischen
Wert ihres Markennamens gegen die Konkurrenz jüngerer Unternehmen zu
schützen. Zu diesem Zweck dienen ihre hohen Ausgaben für Marketing
und Werbung: über 30% des Umsatzes bei Microsoft, mehr noch in der
Modeindustrie. Marketing und Werbung entwickeln sich besonders schnell zu
führenden und blühenden Wissensindustrien, die den übrigen
Industrien allein die Fähigkeit verkaufen, den Geschmack, die
Wünsche, Begierden, Gefühle, Wertvorstellungen usw. so zu
konditionieren, dass dem Angebot der Firmen eine Nachfrage entspricht. Die Verbreitung der immatriellen
Arbeit enthält folglich ein beträchtliches Emanzipations- aber auch
Kontrollpotential, kann aber gegenwärtig (ich komme darauf in Kapitel 10
zurück) nur von einer Minderheit wahrgenommen und in Erscheinung gebracht
werden. Um die für den Übergang in eine Wissensgesellschaft
nötigen Voraussetzungen zu verstehen, wird es zunächst nützlich
sein, die Notizen der Grundrisse (GR) zu erörtern, in denen Marx glaubte,
die zukünftige Entwicklung einer Wissens- und Kulturgesellschaft in
Aussicht stellen zu können.
2. Der lange Weg zur
Wissensgesellschaft: Marx Man findet bereits bei Marx die Einsicht, dass Wissen
nicht nur eine unmittelbare Produktivkraft ist, sondern auch bestimmt ist,
"die größte Produktivkraft" zu werden. Arbeit in ihrer
unmittelbaren Form, Arbeit, die in Arbeitszeit gemessen und als solche entlohnt
wird, "muss aufhören, die große Quelle des Reichtums zu
sein", schreibt Marx. Und Arbeitszeit wird aufhören müssen, als
Maß des geschöpften Reichtums zu dienen (GR, S. 593). Die
Schöpfung von Reichtum wird "immer weniger von der Arbeitszeit und
dem Quantum angewandter Arbeit" abhängen und immer mehr abhängen
"vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der
Technologie" (GR, S. 592). "Die unmittelbare Arbeit und ihre
Quantität (werden) als das bestimmende Prinzip der Produktion
verschwinden" und sie werden "herabgesetzt als ein zwar
unentbehrliches aber subalternes Moment (gegenüber der) allgemeinen
wissenschaftlichen Arbeit" (GR, S. 587). Der
"Produktionsprozess" wird nicht mehr als "Arbeitsprozess "
zu begreifen sein. Wie sehr "Wissen" bei Marx mit dem Bildungsniveau
und der "allseitigen, freien Entwicklung der Individualitäten"
(GR, S. 593) verbunden ist, zeigt sich auch in folgenden Bemerkungen: "Die
wirkliche Ökonomie - Ersparung - ist die Ersparung von Arbeitszeit".
Diese Ersparung ist "gleich" mit "Vermehren der freien Zeit,
d.h. Zeit für die volle Entwicklung des Individuums, die selbst wieder
zurückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit. Sie kann vom Standpunkt des
unmittelbaren Produktionsprozesses aus betrachtet werden als Produktion von
capital fixe, dies capital fixe being man himself" (GR, S. 599).
"Dass übrigens die unmittelbare Arbeitszeit selbst nicht in dem
abstrakten Gegensatz zu der freien Zeit bleiben kann, versteht sich von selbst.
Die freie Zeit - die sowohl Mußezeit als Zeit für höhere
Tätigkeit ist - hat ihren Besitzer in ein anderes Subjekt
verwandelt", nämlich in ein "künstlerisch, wissenschaftlich
etc." ausgebildetes (GR, S. 593).
Dieser Verwandlung hat
aber der Freizeitkapitalismus sehr effektiv entgegengewirkt.
3. Statt allseitiger
Entwicklung Freizeitkapitalismus
Was wir heute als
"Wissenskapital" und "Humankapital" bezeichnen, kann man,
wie man sieht, bereits bei Marx vorfinden. Er versteht die "Entwicklung
der Individualitäten", die durch Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichende
"allseitige Entfaltung" der menschlichen Fähigkeiten, als eine
Investition in die Produktion von Menschen selbst, welche "vom Standpunkt
des unmittelbaren Produktionsprozesses aus" mit der Produktion von fixem
Humankapital gleichgesetzt werden kann.
Marx' Begriff von Human-
oder Wissenskapital ist aber vom heute geläufigen Begriff unterschieden.
Unternehmer, Manager, Wirtschaftswissenschaftler verstehen unter Wissens- oder
Humankapital die Fachkenntnisse und die persönlichen Veranlagungen, die für
die Produktivität und die Konkurrenzfähigkeit einzelner Betriebe
unmittelbar förderlich sind. Es gilt folglich, so genannte
Freizeitaktivitäten in "Fortsetzungen der Arbeit mit anderen
Mitteln" (Ernst Jünger) zu verwandeln. Dies geschieht unter anderem im
Sport, von dem Jünger (1954) schreibt: Er "trägt ebenfalls
Arbeitscharakter und zwar dadurch, dass er die freie Bewegung des Spieles dem
Bann der Uhren und Rekorde unterwirft. Er bringt daher auch keine Erholung
sondern setzt die Arbeit fort. Das tritt auch dadurch zu Tage, dass sich
einerseits Messverfahren, andererseits Geldgeschäfte an ihn
anschließen" [2].
Freizeit- und
Unterhaltungsindustrie, Werbung und Marketing haben nicht eine bloß
kommerzielle Funktion. Sie bestimmen Meinungen, Haltungen, Wertvorstellungen,
Selbstbilder, Geschmack, Lust, Lebens- und Gefühlswelten, haben ihren
direkten Zweck weniger darin, schreibt Robert Kurz, "zum Kauf bestimmter
Waren anzureizen, sondern als allgemeine Formierung eines Bewusstseins (zu
wirken), das die Form den "Sinn", die spezifische Ästhetik von
"Reklame überhaupt" in sich aufgenommen hat und mit diesen Augen
die Welt sieht"... "Emotionskontrolle",
"Traumkontrolle", "Bewusstseinskonditionierungen":
"Die Formatierung nicht nur der äußeren Wünsche und
Begierden, sondern auch der Gefühle, der Griff nach dem Unbewussten
enthüllt am deutlichsten den totalitären Charakter des Kapitalismus -
und macht diesen Totalitarismus zugleich unsichtbar, soweit de Zugriff
gelingt" (Robert Kurz, 1999, S. 571).
Die Kolonialisierung und
Instrumentalisierung von "freier Zeit" wirkt einer Entwicklung
entgegen, die die diversen Dimensionen von "Wissen" in eine
umfassende Kultur einbetten und zur allseitigen Entfaltung der Individuen
beitragen könnte. Der "totalitäre Freizeitkapitalismus",
wie ihn Kurz nennt, verbindet nicht technisch-wissenschaftliche mit
"künstlerischer etc." Bildung. Ganz im Gegenteil: Er bringt
Individualitäten hervor, deren technisch-wissenschaftliche Bildung die
Unbildung auf allen anderen Gebieten mit sich zieht. Er bewirkt den Verfall von
Formen der Alltagskultur in denen "Wissen" als Gemeingut
gesellschaftliche Beziehungen jenseits von Kauf- und Verkaufsbeziehungen
beleben könnte. Kurz, er verhindert das Entstehen einer
Wissensgesellschaft.
4. Herrschaft über
Wissen. Wissensmonopole.
Marx dachte, dass
"Wissen" und Wissenschaft sich als gesellschaftliches Gemeingut
"in den Köpfen der Individuen akkumulieren" würden; und
dass seine tägliche Anwendung im Produktionsprozess ein allgemeines
Wissensniveau mit sich ziehen müsste, welches es dem Kapital verbieten
würde, "Wissen" in seinen Privatbesitz zu überführen.
Da "Wissen" tendenziell die wichtigste Produktivkraft ist, würde
das Kapital die Kontrolle und das Kommando über die Produktion und ihre
Weiterentwicklung verlieren. Dass die Fähigkeiten und Kompetenzen der
Arbeitenden die vom unmittelbaren Produktionsprozess erforderten Fertigkeiten
bei weitem übersteigen würden, was zur Folge hätte, dass die
Individuen gegenüber ihrer "auf ein Minimum reduzierten" Arbeit
auf Distanz gehen und ihre Auffassung von "Reichtum" sich grundlegend
ändern würde.[3].
Die Produktion würde
aufhören, der Hauptzweck der menschlichen Tätigkeiten zu sein, der
Verwertungsprozess würde die sozialen Verhältnisse nicht mehr
beherrschen. Der auf "Wissen" gegründete Produktionsprozess
würde die Arbeits- und Produktionsgesellschaft am Ende zugunsten einer
nicht-produktivistischen Kulturgesellschaft aufheben.
Für uns sind
mittlerweile die Entwicklungs- und Aneignungsmöglichkeiten von
"Wissen" viel komplexere politische Fragen geworden als sie es
für Marx waren. Für uns ist die Annahme geradezu naiv, dass das
Kapital die Entwicklung von "Wissen" als wichtigste Produktivkraft
zulassen könnte, ohne selbst für die Aneignung von und die Herrschaft
über "Wissen" zu sorgen. Das Wesen von Wissen, seine Inhalte,
seine Verbreitung, seine Beziehung zur unmittelbaren Arbeit sind zentrale
Konfliktstoffe geworden, in denen die Orientierung der gesellschaftlichen
Entwicklung auf dem Spiel steht.Die sogenannte Informationsrevolution
ermöglicht einen gigantischen Schritt weiter. Die bisher für den
Produktionsprozess weiter erforderlichen menschlichen Fertigkeiten und
Kenntnisse, ob manueller oder intellektueller Art, können zu einem rapide
wachsenden Teil von den Menschen getrennt, in Software gespeichert und als
Maschinen-Wissen wieder abgerufen werden..
Von hier ab stellen sich
mehrere Fragen:
§ Um zu einer
Wissensgesellschaft zu führen, müsste die bisherige Entwicklung nicht
soziale Akteure hervorbringen, die sich jeder Form von Privatisierung,
Patentierung und Monopolisierung von Wissen widersetzen, um es als universelles
Gemeingut allen zugänglich zu machen? Gibt es diese Akteure?
§ Kann Wissen generell
als Fundament einer Gesellschaft dienen und sie zusammenhalten, oder
müsste man zwischen verschiedenen Arten von Wissen und von sozialen
Wissensverhältnissen unterscheiden, die nicht in gleichem Ausmaß
dazu geeignet sind, als Grundlagen einer Wissensgesellschaft zu dienen?
5. Wissen, Wissenschaft,
Verwissenschaftlichung
Was meinen wir
eigentlich, wenn wir vom "Wissen" in der
"Wissensgesellschaft" sprechen? Schon bei Marx herrschte große
Unklarheit. Er verwendet beliebig Ausdrücke wie "Wissen",
"Intellekt", "Knowledge", "die allgemeinen Mächte
des menschlichen Kopfes", "der allgemeine Stand der
Wissenschaft". "Wissen" bezeichnet bei ihm oft die menschliche
Fähigkeit, die Natur zu beherrschen und als Produktivkraft
einzuspannen.Die szientistische Tradition, die oft bis heute noch den Marxismus
und den Sozialismus prägen, lassen außer Acht, dass Wissenschaft,
wie man sie in der industrialisierten Welt versteht, einen bestimmten sozialen
und kulturellen Hintergrund voraussetzt. Wissenschaft verbürgt keine
intuitiven Gewissheiten. Sie entwickelt sich vielmehr auf dem Boden vorwissenschaftlicher,
sinnlich-praktischer Erkenntnisse und Erfahrungen. Sie wirkt auf diese - auf
die "anschauliche Welt" oder "Lebenswelt", wie sie Husserl
nannte - zurück und bezieht aus letzterer und auf letztere den Zweck und
Sinn, dem sie dient [4].Man operiert nach Spielregeln, "im Wesentlichen
nicht anders als im Karten- oder Schachspiel"[5].
Die Denkarbeit
technisiert, formalisiert und mechanisiert sich, klammert Sinnfragen und den
Bezug auf die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit aus, nimmt "das Ideenkleid
‚Mathematik' und ‚mathematische Naturwissenschaft' ", das die Lebenswelt
"vertritt und verkleidet"[6] , für "wahres Sein" und
"entwertet die gesamten Wahrheiten des vor- und
außerwissenschaftlichen Lebens, welche sein tatsächliches Sein
betreffen"[7].
Eine auf die Ausschaltung
der sinnlich erlebten Wirklichkeit und des sinnlichen
Wahrnehmungsvermögens gegründete Wissenschaft erzeugt letzen Endes,
wenn sich selbst überlassen, eine nur noch dem Intellekt zugängliche
Technowelt.Der Sinn und erkenntnistheoretische Wert des wissenschaftlichen
Wissens hängt folglich von seinem Zusammenhang mit und seiner Einbettung
in die außerwissenschaftliche Lebenskultur ab. Wenn es sich
gegenüber dieser verselbstständigt, entwickelt es sich auf Kosten der
Lebenswerte und des Lebens selbst und "verarmt das Denken so gut wie die
Erfahrung"[8].In gleicher Weise ist die verwissenschaftlichte Welt eine
leblose, gefühllose, unnatürliche. Die moderne Wissenschaft hat von
Anfang an von der Gesellschaft den Auftrag erhalten, die Gesetze der Natur zu
erkennen und zum Zweck ihrer Beherrschung zu nützen. Die vollständige
Kenntnis dieser Gesetze sollte Ungewissheiten und Unberechenbarkeit beseitigen,
die Zukunft voraussehbar machen, die Welt ebenso "in Ordnung bringen"
wie die Gesellschaft selbst. Bis heute drückt sich im
Verwissenschaftlichungsdrang ein manischer Macht- und Ordnungswahn aus.
Kybernetik, Informatik, Biotechnologien sollen die Störanfälligkeit
menschlicher Wesen beheben, menschliche Intelligenz mit maschineller substituieren,
natürliches biologisches Leben mit vorprogrammiertem Biomaterial,
natürliches Erbgut mit künstlich vorbestimmtem, das sich nicht
vererben lässt.
6. Von der Beherrschung
zur Abschaffung der Natur
Der Wille, die Natur zu
beherrschen, kippt um in den Willen, die Natur abzuschaffen, die
"äußere" ebenso wie die "innere" menschliche, zu
Gunsten einer durchrationalisierten, vorprogrammierten, sich selbst
regulierenden Weltmaschine, die von Menschmaschinen und Maschinenmenschen vor
natürlichen Abweichungen und subjektiven menschlichen Wertungen und
Verhaltensweisen geschützt ist[9].
Die Frage, ob die bis zur
Abschaffung der Natur getriebene Naturbeherrschung sich nicht zu einer
Abschaffung der Menschheit selbst verkehrt, wurde von den Pionieren der
künstlichen Intelligenz, der Robotik und der Nanotechnologien selbst
aufgeworfen und in einem Aufsehen erregenden Artikel eines mit ihnen befreundeten
Insiders, Bill Joy, erörtert[10].So vollzieht sich die Verwandlung von
Naturschätzen in Privatkapital. Konzerne dekodieren das Genom von
Pflanzen, um natürliches sowie naturbezogenes menschliches Wissen in
wissenschaftliches zu verwandeln und dessen Alleinbesitzer und -verkäufer
zu werden. Steriles patentiertes Saatgut ersetzt das natürliche, die
Synthese pflanzlicher Wirkstoffe die natürlichen usw[11].
Verwissenschaftlichung
ist die Voraussetzung der kapitalistischen Aneignung und Verwertung von
natürlichem Gemeingut. Verberuflichung ist die Voraussetzung der
Verwertung von allgemeinem informellem Wissen. Die Voraussetzung für den
Aufbau einer Wissensgesellschaft hingegen ist, dass ein nicht-instrumentelles
Verhältnis zur Natur der tendenziellen Verselbständigung der
Technowissenschaft entgegenwirkt. "Wissen" darf nicht mit Sach- und
Fachkenntnissen verwechselt werden. Verständnis für und
ästhetische Wertung der Artenvielfalt des natürlichen Lebens
gehören zum "Wissen" und müssen den
technowissenschaftlichen Machtwillen überwiegen.
In den
Naturwissenschaften ist eine Wende in diese Richtung seit einiger Zeit im
Gange. Sie wurde ursprünglich eingeleitet von den im Biological Computer
Laboratory arbeitenden Gründern der Systemtheorie und war für die
Entwicklung der Ökologie entscheidend. Sie löst allmählich das
Paradigma der analytischen "Erklärungen" durch das Paradigma des
holistischen "Verständnisses" ab, begreift die Wirklichkeit als
Komplexität, die nicht auf eine Verkettung von "Ursachen"
reduzierbar ist. Zwischen den auf die Beherrschung der Natur ausgerichteten
Technowissenschaften und den lebensfreundlichen "verstehenden"
Wissenschaften, zwischen der "Allotechnik" und der
"Startotechnik", wie Sloterdijk sie nennt, ist ein Konflikt angesagt,
der letzten Endes auf der politischen Ebene ausgetragen werden muss.
7. Konfliktstoff
Erziehung, Schule, Bildung
"Wissen"
bedeutet stets zweierlei:
1.Kenntnisse, die der
Wissende vorsätzlich und methodisch erlernt hat. Es handelt sich hier um
formelles, soziales Wissen, das die Individuen nicht aus eigenen Erfahrungen
und Interaktionen erwerben konnten. Es ist Teil der akkumulierten Kenntnisse
und Deutungsmuster, die im Laufe der Geschichte in die Kultur eines Volkes
aufgenommen wurden. Der Lernprozess und die Inhalte des formellen sozialen
Wissens sind vom öffentlichen Unterrichtswesen und den öffentlichen
kulturellen Medien bestimmt.
2.Vorverständnisse
und Fähigkeiten, die wir spontan durch Erfahrungen und den Verkehr mit
anderen erworben haben, ohne sie je thematisiert und vorsätzlich gelernt
zu haben. Sprechen, die Umwelt und ihre Gegenstände deuten und handhaben,
die Metasprache der Gesichtsausdrücke und Gesten verstehen usw., all das
haben wir nicht absichtlich erlernt. Wir sind in eine soziale Lebensumwelt
hineingewachsen und haben ihre Sprache sowie die Handhabung ihrer
täglichen Gebrauchsgegenstände durch eben deren Handhabung gelernt.
Informelles Wissen besteht zu einem großen Teil aus Gewohnheiten und
Fertigkeiten, durch welche wir die soziale Umwelt als eine Verlängerung
unseres Körpers, unserer selbst wahrnehmen. Dieses präkognitive
informelle Wissen ist der Stoff unseres Bewusstseins, die soziale Basis, auf
der die sinnliche, psychische und intellektuelle Entfaltung der Person sich
vollzieht. Es kann diese Entfaltung begünstigen oder hemmen. Von ihr
hängen weitgehend sowohl die Sozialisierbarkeit wie die Autonomiefähigkeit
des Individuums ab [13]. Die sozialen und ökonomischen Verhältnisse werden vom Kapital
angesichts des Rückgangs des regulären Lohnarbeitsvolumens in einer
Weise gestaltet, die den Erwerbsarbeitszwang verschärft. Diese
Verschärfung hat ihren - nicht offen ausgesprochenen - Grund in der
Befürchtung, dass die sich vollziehende Ausdehnung der Nicht-Arbeitszeit
den Arbeitsethos und die Herrschaft des Kapitals untergraben würde, wenn
Mußefähigkeit und Tätigkeiten, die um ihrer selbst willen
unternommen werden, ermöglicht würden und sich entsprechend
entwickelten. Die Komplementarität von vielseitiger Bildung und
unmittelbar produktivem Wissen ist im sich vollziehenden technologischen Wandel
wie vorprogrammiert. Das sich verwandelnde Kapital eröffnet die Aussicht auf
eine Wissens- und Kulturgesellschaft, bekämpft aber zugleich deren
Entwicklung, um seine Macht zu bewahren. Widersprüchlichkeiten dieser Art
sind nichts Neues. Neu allerdings ist diese Aussicht selbst - ist die im Wesen
des "Wissens" enthaltene Möglichkeit grundlegend neuer sozialer
Verhältnisse jenseits von Waren- und Lohnbeziehungen.
8. Bildungspolitik in der
Wissensgesellschaft
Je
selbstverständlicher ein Wissen ist, um so unmöglicher ist es, es zu
vermitteln. Es ist weder thematisiert noch versprachlicht. Es besteht aus
Vorverständnissen, die sich auf einen kulturellen Hintergrund beziehen,
der Kenntnissen und Erkenntnissen zugrunde liegt. Selbstverständliches
Wissen lässt sich weder erklären noch mitteilen. Ich kann es nur durch
ein beziehungsintensives Verhältnis vermitteln, welches es anderen
ermöglicht, nachzuvollziehen, was ich meine und tue, weil sie Erfahrungen
mit mir teilen. Angehörigen
einer Kultur ist dasselbe Vorverständnis gemeinsam. Es kann nie
vollständig in andere Kulturen übertragen werden"Wettbewerb"
dient nicht dazu, die Schwächeren auszuscheiden, sondern es jedem zu
erlauben, sein Können an dem der anderen zu messen und das gemeinsam zu
erreichende Niveau womöglich zu erhöhen.Eine Gesellschaft, in der
alle von jedem erwarten, dass er oder sie ihre künstlerischen, sinnlichen,
kognitiven usw. Fähigkeiten weiterentwickelt und dafür die Mittel,
Gelegenheiten und menschliche Unterstützung bereitstellt, steht in
radikalem Gegensatz zu einer von Leistungs- und Verwertungszwang beherrschten Gesellschaft,
ist aber dennoch in der gegenwärtigen Entwicklung potenziell angelegt.
9.
Selbstentwicklungsarbeit
Die sich entwickelnde
Netzwerk- oder "quaternäre" Ökonomie beruht auf miteinander
vernetzten Unternehmen und Territorien. Jedes Unternehmen ist territorial mit
komplementären Unternehmen vernetzt und das territoriale Netzwerk mit
anderen in transterritoriale oder globale Netzwerke eingebunden. Die
Produktivität der Unternehmen hängt weitgehend von den kooperativen
und kommunikativen Kompetenzen der Akteure ab, ihrer Fähigkeit, eine
Situation zu überblicken, schnell zu urteilen und zu entscheiden, für
neue Ideen offen zu sein, neue Kenntnisse zu erwerben. Die Produktion und
Produktivität beruhen auf "Leistungen", die nicht mehr mit dem
Maßstab der Arbeitszeit messbar sind. Sie mobilisieren ein
"Wissen", das sowohl aus Fachkenntnissen als auch aus informellen
persönlichen Fähigkeiten besteht. Das bedingungslose Recht auf
Bildung, Weiterbildung, Zugang zu allem Wissen kann allein in Verbindung mit
dem bedingungslosen Recht auf ein ausreichendes Grundeinkommen oder
"Existenzgeld" effektiv werden.
10. Jenseits von Markt,
Geld und Eigentum
Menschliche
Selbstentwicklung ist nicht eine Quelle des Reichtums und ein Mittel unter
anderen zur Schöpfung von Reichtum. Sie ist die Schöpfung von
Reichtum selbst, Reichtum an Fähigkeiten, Genüssen, Kreativität,
Lebendigkeit... . Es handelt sich hier um einen Reichtum, der an keinem
vorgegebenen Maßstab messbar ist, dessen "Wert" nicht
quantifiziert, vergeldlicht und verrechnet werden kann.
Selbstentwicklungsarbeit ist nicht auf ein Quantum "einfacher",
"abstrakter" Arbeit reduzierbar, noch vergleichbar und austauschbar
mit anderen Arbeiten. Sie gilt sich als Selbstwert und Quelle von Selbstwerten,
wirkt aber zugleich als Quelle von Produktivkraft im sozialen
Produktionsprozess. Sie schärft die Aufmerksamkeit für alle nicht
miteinander austauschbaren, nicht messbaren Formen des Reichtums, die ebenfalls
nicht gegeneinander verrechnet werden können: namentlich die Natur, die
vom ökonomischen Standpunkt aus Produktivkraft, vom ästhetischen
Standpunkt aus Selbstwert und vom sozialen Standpunkt aus Gemeingut ist. Das
Gleiche kann für die verschiedenen Formen von Wissen gesagt werden.
Aus zwei Gründen
darf man diese Ausführungen nicht einfach belächeln:
1.Die
"Linux-Gemeinde" wurde gegründet, um das Monopol des von den
Börsen und Regierungen weltweit umworbenen Bill Gates zu brechen. Es galt,
den zahlungspflichtigen patentierten Microsoft-Zugang zum Internet mit einem
kooperativ entwickelten und kostenlos verwendbaren Navigationsystem zu
bekämpfen. Dies ist der "Linux-Gemeinde" gelungen. Ihr System
hat die Überlegenheit der "freien" kooperativ entwickelten
Software bewiesen, aber auch alle Welt darauf aufmerksam gemacht, dass um
Wissen finanziell zu verwerten, das Kapital es als privates Eigentum behandelt
und als Ware vermarktet. Dieser Wissenskapitalismus führt zu keiner
Wissensgesellschaft.
2.Gegen den Wissenskapitalismus
sind nicht blauäugige Utopisten ins Feld gezogen, sondern angehörige
der "Wissenselite", d.h. Leute, die über die wichtigsten
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Ein radikal-libertärer
Antikapitalismus kommt "von oben" her, ohne jeglichen Machtanspruch,
von Inhabern des "Wissenskapitals", das sie im Namen der Freiheit dem
Zugriff des Geldkapitals entziehen wollen. Sie verfolgen dasselbe Ziel, das
früher im Klassenkampf erreicht werden sollte: nämlich "die
kollektive Aneignung der Produktionsmittel", die Sozialisierung der
Produktivkräfte. Sie säen die Samen eines neuen Links-Radikalismus,
der selbstverständlich nur Grund gewinnen kann, wenn er - wie in Seattle -
alle diejenigen verbinden und verbünden kann, die gegen die vom globalen
Finanzkapital betriebene Globalisierung einen globalen Kampf für eine
alternative Globalisierung führen.
Fußnoten:
[1] Das Zeitalter des Access. Die neue Kultur des
Hyperkapitalismus, in der alles Leben aus eingekauften Erlebnissen besteht.
Titel der deutsche Ausgabe: Jeremy Rifkin, Access. Das Verschwinden des
Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden. Frankfurt/M.,
2000.
[2] Ernst Jünger, Das Sanduhrbuch, FfM 1954, S. 194 f.
Zitiert in Robert Kurz, Schwarzbuch des Kapitalismus, Eichborn, FfM. 1999, S.
569.
[3] Vgl. Karl Marx, Grundrisse..., S. 387: "Wenn die
bornierte bürgerliche Form abgestreift wird, was ist der Reichtum anderes,
als die im universellen Austausch erzeugte Universalität der Bedürfnisse,
Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen?...
Das absolute Herausarbeiten (ihrer) schöpferischen Anlagen, ohne andere
Voraussetzung als die vorhergegangene historische Entwicklung, die diese
Totalität der Entwicklung, d.h. der Entwicklung all der menschlichen Kräfte
als solcher, nicht gemessen an einem vorgegebenen Maßstab, zum
Selbstzweck macht?"
[4] Edmund Husserl, Die Krise der europäischen Wissenschaften
und die transzendentale Philosophie, Philosophia, Belgrad, 1936, § 9 h), S.
125.
[5] a.a.O., § 9 g), S. 121.
[6] a.a.O., § 9 h), S. 127.
[7] a.a.O., § 9 i), S. 129. [8] Vgl. Adorno/Horkheimer, Dialektik
der Aufklärung und, ausführlicher, A. Gorz, Kritik der
ökonomischen Vernunft, Hamburg, 1989/1994, s. 126 ff. [9] Vgl. Arno Bammé
u.a., Maschinen-Menschen, Mensch-Maschinen, Grundrisse einer sozialen
Beziehung, Reinbek, 1983, S. 69 ff.
[10] Ray Kurzweil, The Age of Spiritual Machines, Phoenix, London,
1999; Hans Moravec, Mere Machine to Transcendent Mind, Oxford University Press,
New York, 1999; Bill Joy, Why the Future Doesn't Need us, Wired 8.04, April
2000.
[11] Vgl. Dan Schiller, in Cutting Edge, London, Verso, 1996, S.
116: "in biotechnology the effort revolves around supplanting a ‚text'
with the inborn capacity to reproduce itself without human intervention with
one that is sterile and therefore cannot."
[12] In Schweden haben beide Elternteile zusammen ein Anrecht auf
ein Jahr Erziehungsurlaub für jedes Kind, mit 80 % (früher 90%)
Lohnausgleich. In der ehemaligen CSSR waren für Mütter drei Jahre
Erziehungsurlaub mit vollem Lohnausgleich die Regel.
[13] Pierre Lévy, World Economy, Odile Jacob, Paris 2000,
S. 82 ff.