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Vlasowa I.A.

Braga O.A.

Nationale Universität für Wirtschaft und Handel namens M. Tugan-Baranowsky, Ukraine

 

Globale Strukturpolitik und die Rolle der Weltkonferenzen

 

Nicht erst seit Rio gilt die herkömmliche Entwicklungspolitik als überlebt. Gefragt ist nicht mehr allein die projektbezogene Entwicklungshilfe von gestern, sondern eine Strukturpolitik, die sich auf allen Politikfeldern den Herausforderungen der Globalisierung im Nord-Süd-Rahmen stellt. Die westlichen Staaten betreiben, damit kein Missverständnis entsteht, weiterhin – am Leitbild der Nachhaltigkeit und stärker als bisher an Effizienzkriterien orientiert – Entwicklungszusammenarbeit im finanziellen, technischen und personellen Bereich. Ergänzend stellt die moderne „Eine-Welt-Politik“ an die wohlhabenden Industriegesellschaften vordringliche Aufgaben, die daheim gelöst werden müssen, um auf verschiedenen Sektoren, etwa in der Umwelt-, Energie-, Technologieoder Bildungspolitik, den Aufbau eines nachhaltigen Wohlstandsmodells zu ermöglichen.

Überwölbt wird das Ganze durch den Versuch, den sichtbaren Umbruch im Nationalstaatensystem als Signal zum Aufbau einer kooperativen Weltordnung zu begreifen. Eine „Weltordnungspolitik“ soll die aus einem globalen Krisenempfinden heraus entstandene politische Antwort auf das Zeitalter der Globalisierung sein. Diesem Ansatz liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Weltpolitik notwendig ist, die das aus der Intensität globaler Probleme abzuleitende „Weltgemeinwohl“ über die spezifischen Einzelinteressen aller Staaten stellt 15. Kollektives globales Handeln setzt ferner die Herausbildung einer legitimierten globalen Handlungsfähigkeit und eine funktionstüchtige Global-Governance-Architektur voraus. Elemente globaler Staatlichkeit sind heute in ersten Ansätzen vorhanden (UN-Sicherheitsrat, Internationaler Strafgerichtshof).

Auch haben sich seit dem Ende der Ost-West-Auseinandersetzung Prozesse zur Bildung globaler Regelsysteme verstetigt, während gleichzeitig die Selbstbindung zahlreicher Staaten an globale Normen im Zunehmen begriffen ist. Das wichtigste Instrument bei der Herausbildung globaler Regelwerke war die Serie von Weltkonferenzen der Vereinten Nationen seit Beginn der neunziger Jahre, unter denen der Erdgipfel von Rio politisch herausragte. Trotz der vermehrten globalen Handlungszusammenhänge hat sich indes das Grundmuster internationaler Zusammenarbeit bislang nicht entscheidend verändert. Die zwischenstaatlichen Beziehungen basieren nach wie vor überwiegend auf der freiwilligen Interaktion souveräner Einzelstaaten. Auch die Aktivitäten der multilateralen Institutionen, angefangen bei den Vereinten Nationen und den Bretton-Woods-Organisationen, haben keinen Durchbruch zu einem neuen Grundmuster der internationalen Beziehungen herbeigeführt. Zu diesem Befund trägt in nicht geringem Maße das Übergewicht der einzigen verbliebenen Weltmacht USA bei, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen und politischmilitärischen Dominanz wenig Neigung verspürt, sich weitergehenden internationalen Verpflichtungen zu unterziehen und die eigene Handlungsfähigkeit z.B. im UN-Rahmen einzuengen16. Der amerikanische Unilateralismus schaffe ein „Weltordnungsproblem“, diagnostizieren Kritiker. Unter Präsident George W. Bush hat sich der unilateralistische Stil der amerikanischen Außenpolitik weiter verstärkt.

Er ist in den für die nationale Souveränität besonders sensiblen Fragen zu beobachten, was die Auslösung militärischer Einsätze notfalls ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates betrifft, und setzt sich auf anderen Feldern fort, vom Boykott des neu eingerichteten Internationalen Strafgerichtshofes bis zur Ablehnung der Klimaschutzbestimmungen des Kyoto-Protokolls.

Zu den Vorbehalten führender Großmächte gegen verbindliche globale Regelwerke tritt vielerorts Zurückhaltung bei den gleichfalls auf die Wahrung ihrer Souveränität bedachten Entwicklungsländern. Daher ist es erstaunlich, was mit dem innovativen Instrument der Weltkonferenzen – den „Baustellen für Global Governance“ – dennoch erreicht wurde. In dem zurückliegenden Jahrzehnt bewährten sich die Vereinten Nationen, unter den genannten eingeschränkten Bedingungen, als zentrales Forum bei der Aushandlung und Schaffung globaler Normsysteme. Der seit Anfang 1992 amtierende UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali war bemüht, die Probleme der Entwicklungsländer, insbesondere die Probleme Afrikas in das Zentrum weltweiten Interesses zu rücken. Die bereits länger geplante Serie von Weltkonferenzen wurde während seiner Amtszeit zu einem politischen „Kontinuum“ ausgebaut, indem jede Konferenz auf der anderen aufbaute und gleichzeitig in kumulativer Weise zu dem Erfolg der nachfolgenden Konferenzen beitragen sollte. Mehrere Themenfelder sollten außerdem während der gesamten Konferenzserie auf der Tagesordnung stehen, darunter die Förderung der.

Weltkonferenzen waren keine Erfindung der neunziger Jahre. Einige Themenfelder waren in den Jahrzehnten zuvor bereits Gegenstand großer UN-Konferenzen gewesen, wie im Falle des Stockholmer Umweltgipfels von 1972. Trotzdem besteht ein qualitativer Unterschied zu der Serie von Weltkonferenzen zwischen den Jahren 1990 und 1996. Diese fanden nicht nur unbehindert von dem in der Zwischenzeit überwundenen Ost-West-Konflikt statt. Es handelte sich auch insofern um echte „Weltkonferenzen“, weil sie nicht mehr von einem scharfen Nord-Süd-Gegensatz überlagert schienen. Angetrieben von dem Bewusstsein durchdringender Probleme auf der ganzen Erde, ging von diesen Großveranstaltungen, die von vielen Staats- und Regierungschefs besucht wurden, ein Ansporn zur globalen Kooperation aus, der weltweit Widerhall fand. Kennzeichnend waren ferner die intensiven Vorbereitungsprozesse, die Einbeziehung und Mitwirkung zahlreicher nichtstaatlicher Akteure, konkrete Aktionspläne, die verabschiedet wurden, Vorkehrungen, um die Implementierung der Beschlüsse zu überwachen, mit Sekretariaten und Folgetagungen. Der erste „Gipfel“ des neuen Stils war der Weltkindergipfel in New York im Jahr 1990, dem zwei Jahre später der Erdgipfel von Rio nachfolgte. Zumeist trugen die verabschiedeten Beschlüsse und Aktionspläne, wie z.B. die Agenda 21, keinen bindenden Charakter. Dafür enthielten sie konkrete Zeitpläne, quantifizierte Ziele oder Ankündigungen, völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen (nach dem Modell der Rio-Konventionen) abzuschließen. Es gab Zusagen, die benötigten menschlichen, finanziellen und technologischen Ressourcen bereit zu stellen. Natürlich gab es von Beginn auch Enttäuschung, nicht nur bei Nichtregierungsorganisationen, über wenig aussagekräftige Formelkompromisse, spatter dann über nicht eingehaltene Vorgaben. Es überwog aber der eindrucksvolle ganzheitliche Ansatz. Die Themen wurden nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang der anderen globalen Themenfelder behandelt, was unweigerlich Überschneidungen zwischen den Gipfelthemen mit sich brachte. Mit Rio am ehesten zu vergleichen ist der Weltsozialgipfel von Kopenhagen. Konzentrierte sich Rio am stärksten auf Umweltfragen, fokussierte Kopenhagen auf das Thema der sozialen Gerechtigkeit. Beide Konferenzen fuhren fort, das Bestehende aufzugreifen und mit innovativen Neuansätzen zu verbinden. Bemerkenswerterweise scheiterten aber beide mit ihrem jeweils kühnsten Projekt, der „Erdcharta“ bzw. der in Kopenhagen nicht zustande gekommenen „Internationalen Sozialcharta“.

 

LITERATURVERZEICHNIS:

1.     Adam, Markus: Die Entstehung des Governance-Konzepts bei Weltbank und UN. Die EZ wird politischer. In: E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit, 41 (2000) 10, S. 272-274

2.     Afemann, Uwe: Anschluss gesucht. Der größte Teil der Weltbevölkerung muss ohne neue Medien auskommen. In: E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit, 42 (2001) 4, S. 108-111

3.     Barandat, Jörg: Sie graben uns das Wasser ab... Grenzüberschreitende Gewässersysteme und internationales Recht. In: E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit, 42 (2001) 6, S. 181-184

4.     Dombrowsky, Ines: Die Wasserkrise im Nahen Osten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48-49/2001, S. 30-38